Wann ist eine Verordnung eindeutig?

Wir hatten schon mehrmals darauf hingewiesen, dass es nicht von Verträgen mit den GKV-Kassen abhängen sollte, ob die Apotheke eine ärztliche Verordnung, wie vom Arzt gewünscht und therapeutisch benötigt, versorgen darf. Nicht die Krankenkasse sollte die Menge des Arzneimittels bestimmen, sondern die Entscheidung des verordnenden Arztes.
Zudem ist die bisherige Regelung des § 6 Rahmenvertrag, dass bei höheren Verordnungsmengen lediglich Vielfache der durch die größte Messzahl der Packungsgrößenverordnung bestimmte Menge oder Stückzahl abgegeben werden dürfen, auch keineswegs immer wirtschaftlich. Dies wäre beispielsweise der Fall, wenn der Arzt ein Vielfaches der Nmax verordnen muss, obwohl die Stückelung einer Nmax zusammen mit einer kleineren N-Größe therapeutisch durchaus ausreichen würde.

Dass dies nicht nur Meinung der Apothekerseite ist, sondern auch von der bisherigen Gesetzgebung gedeckt und von der Rechtsprechung so beurteilt wird, mussten wir leider schon in mehreren DAP-Veröffentlichungen und Retax-Newslettern mitteilen.

Wären manche Krankenkassen und deren Rezeptprüfungs-Dienstleister dieser Argumentation zugänglich gewesen, gäbe es diese therapeutisch und wirtschaftlich unsinnige Vergeudungsvorschrift nicht benötigter Arzneimittel vermutlich schon lange nicht mehr – zumal wir schon mehrmals auf die Gründe hinweisen mussten, weshalb der bisherige § 6 in einer patienten- und therapiegerechten Versorgung keine Existenzberechtigung mehr hat:

Die aktuelle Vertrags- und Rechtslage

1. Rahmenvertrag

Der aktuelle § 6 (3) Rahmenvertrag bezieht sich nur auf nach Stückzahl verordnete Mengen:

6 (3) Rahmenvertrag

„Überschreitet die nach Stückzahl verordnete Menge die größte für das Fertigarzneimittel festgelegte Messzahl, ist nur die nach der geltenden Packungsgrößenverordnung aufgrund der Messzahl bestimmte größte Packung oder ein Vielfaches dieser Packung, jedoch nicht mehr als die verordnete Menge abzugeben. Ein Vielfaches der größten Packung darf nur abgegeben werden, soweit der Vertragsarzt durch einen besonderen Vermerk auf die Abgabe der verordneten Menge hingewiesen hat.“

Die bisherigen Vorschriften von § 6 des Rahmenvertrags rechtfertigen nur selten eine Retax, denn diese beziehen sich ausschließlich auf Stückzahlverordnungen oder Verordnungen über nicht existierende N-Größen.

Stattdessen wäre häufig die für noch nicht geregelte Versorgungen getroffene „Übergangs­vereinbarung“ § 3 (1) Nr. 7e Rahmen­vertrag anzuwenden:

3 (1) Nr. 7e Rahmenvertrag

Der Vergütungsanspruch des Apothekers entsteht trotz nicht ordnungsgemäßer vertragsärztlicher Verordnung oder Belieferung dann, wenn […] es sich um einen unbedeutenden, die Arzneimittelsicherheit und die Wirtschaftlichkeit der Versorgung nicht wesentlich tangierenden, insbesondere formalen Fehler handelt. Dies ist insbesondere der Fall, wenn […]
7. bezogen auf den Rahmenvertrag
e. die Apotheke bei einer Verordnung, für die § 6 dieses Vertrages keine Regelung enthält, unter Beachtung der Wirtschaftlichkeit und des Vorranges der Abgabe rabattbegünstigter Arzneimittel Packungen bis zu der vom Arzt insgesamt verordneten Menge abgibt (§ 31 Abs. 4 SGB V).

2. Der Deutsche Apothekerverband

Auch der Deutsche Apothekerverband e. V. (DAV) als Vertragspartner der gesetzlichen Krankenkassen war schon bisher der Meinung, dass die Abgabe einer eindeutig bestimmten Normgrößenverordnung im neuen § 3 Rahmenvertrag geregelt und möglich ist.
Dazu ein Ausschnitt aus dem Fragenkatalog zu § 3 Rahmenvertrag des DAV:

3. Falsche Umsetzung der gesetzlichen SGB V-Vorgabe

Die gesetzliche Vorgabe des § 31 (4) SGB V ist bereits seit Jahren in § 6 Rahmenvertrag nicht korrekt umgesetzt, da im SGB V nur die Abgabe EINER Fertigarzneimittelpackung geregelt ist, deren Packungsgröße die größte der aufgrund der Verordnung nach Satz 1 bestimmte Packungsgröße übersteigt (sog. Jumbopackungen). Nur solche Packungsgrößen sind gesetzlich von der Versorgung zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung ausgenommen worden. Die Abgabe von mehreren, therapeutisch benötigten Packungen und deren addierter Inhalte hat der Gesetzgeber nie untersagt!

4. Die Rechtsprechung

Dies sieht auch die aktuellere Rechtsprechung so. Nachfolgend ein Auszug aus dem Urteil des LSG Thüringen vom 25. August 2015 – L 6 KR 690/12 – juris:

Ein Verstoß der Klägerin [Apotheke] gegen das in § 129 Abs. 1 SGB V normierte Wirtschaftlichkeitsgebot liegt hier nicht vor. Die Ärzte haben keine unbestimmte Menge von Arzneimitteln verordnet. Schließlich – und damit entfällt auch die Unwirtschaftlichkeit nach § 6 Abs. 3 des Rahmenvertrages –, jedenfalls soweit es die Klägerin betrifft, ist in keiner der vertragsärztlichen Verordnungen eine Verordnung nach Stückzahl erfolgt. Die Ärzte haben vielmehr zahlen­mäßig genau bestimmte Packungen […] verordnet.Diese Verordnungen sind eindeutig. [...]

Da der jetzige verkomplizierte Zustand immer wieder Rückfragen zur korrekten, retaxsicheren Versorgung zur Folge hat, möchten wir hier noch einmal eine entsprechende aktuelle Anfrage zur Diskussion stellen. Da es sich nicht um eine Retax handelt und auch keine solche provoziert werden soll, wird auf die Nennung der Krankenkasse ausnahmsweise verzichtet.

Hier die Anfrage der Apotheke in Auszügen:

„Wir bekommen oft Rezepte von Spezialisten aus den umliegenden "Großstädten". Die verordnen gern für einen längeren Zeitraum, was ja an sich effektiv und für Arzt und Patienten sinnvoll ist.[…]       
Nur kennt kaum ein Arzt die Vertragslagen, speziell die Packungsgrößen VO, möchte ich behaupten.[…].
Deshalb nutzen wir sehr gern das DAP. So auch im akuten Fall:

Verordnung: 3 !!! Doxepin-Neurax LSE 50 ml N2 PZN 07229208
Abgabedatum: 05.03.19

Die betroffene Apotheke fragt an:
„Eigentlich geht es ja nicht, da die theoretische N3 (die es nicht gibt) überschritten wird. Dann steht im DAP, es könnte doch gehen, wenn „eine eindeutig bestimmte Verordnung vorliegt" ? Was soll das bedeuten? So, wie ich es verstehe, ist die VO eindeutig bestimmt „3x! Doxepin Neurax LSE 50 ml N2 (PZN 7229208)" lautet die Verordnung.
[…]
Also was meint „eine eindeutig bestimmte Verordnung" genau?
Ich gebe das erst mal so ab, eine Klärung wäre mir aber schon für die Zukunft wichtig.“

Die gegenwärtige Vertrags-und Rechtslage haben wir zuvor bereits dargelegt.          

In der Tat weist der DAP PZN-Checkplus in den Handlungsempfehlungen auch darauf hin, dass nach der geschilderten Vertrags- und Rechtslage eine Verordnung „eindeutig bestimmt“ sein muss:

Dies gibt den aktuellen Vertrags- und Rechtsstand wieder und kann Ihnen bei Einsprüchen gegen unberechtigte Retaxationen sicher hilfreich sein. Dennoch zeigt die alltägliche Retaxpraxis, dass dies nicht von allen Rezeptprüfstellen beachtet wird. Es besteht also durchaus weiterhin Retaxgefahr, Einsprüche diesbezüglich wurden mitunter nicht zurückgenommen!

Die hier vorliegende Verordnung über „3 !!! Doxepin-Neurax LSE 50 ml N2 PZN 07229208“ ist durch gleich drei Angaben eindeutig im Sinne des o.g. Urteils:    

  • die Angabe der drei "!!!"
  • die Angabe einer eindeutigen PZN
  • die eindeutige Mengenangabe 50 ml

Laut Gerichtsurteil wäre die Verordnung daher nicht retaxierbar. Aber ob dies alle Rezeptprüfstellen auch so sehen oder trotzdem retaxieren, sehe ich skeptisch!

Der neue Rahmenvertrag ab 1. Juli 2019:

Die unbefriedigende Situation konnte offenbar durch die Apothekenseite auch dem Spitzenverband der GKV-Kassen vermittelt werden, denn im ab 1. Juli 2019 gültigen neuen Rahmenvertrag wurde in § 7 (3) eine Neuregelung vereinbart, die eine eindeutig bestimmte Verordnung definiert:

7 (3) Rahmenvertrag

„(3) Ist das verordnete Arzneimittel für die Abgabe nicht eindeutig bestimmt, hat die Apotheke Rücksprache mit dem Arzt zu nehmen und sich hieraus ergebende Korrekturen und Ergänzungen auf dem Arzneiverordnungsblatt zu vermerken und separat abzuzeichnen. Sofern das Korrektur- bzw. Ergänzungsdatum vom Abgabedatum abweicht, ist dieses zusätzlich anzugeben. Ein nach Handelsname oder unter seiner Wirkstoffbezeichnung verordnetes Fertigarzneimittel ist  insbesondere dann eindeutig bestimmt, wenn es unmissverständlich einem Eintrag im Preis- und Produktverzeichnis zuzuordnen ist. Das Vorhandensein mehrerer Anbieter zu einem nach Handelsnamen oder des unter seiner Wirkstoffbezeichnung verordneten Fertigarzneimittels steht der Eindeutigkeit nicht entgegen. Satz 3 gilt nicht für Importe nach § 73 Absatz 1 und 3 AMG.“

Nicht eindeutig bestimmt wäre ab 1. Juli 2019 folgende Verordnung nach §  8 (3):

  • Menge, nach Stückzahl oder unter N-Kennzeichnung verordnet, entspricht keiner im Preis- und Produktverzeichnis befindlichen Packung.
  • AV ist gekennzeichnet, nicht mehr lieferfähig, keine andere Auswahl möglich.
  • Stückzahl und Normkennzeichen widersprechen sich.

In diesen Fällen wäre vor der Abgabe eine Rücksprache mit dem Arzt erforderlich.

Zudem ist es ab 1. Juli 2019 möglich, eine größere Verordnungsmenge auf mehrere Verordnungszeilen aufzuteilen, da künftig jede Verordnungszeile getrennt zu betrachten und mit der verordneten Anzahl Packungen zu versorgen ist (§ 8 (1) Rahmenvertrag).

Da sich die Spitzenverbände der GKV-Kassen und der Apotheker bereits seit Januar auf die ab Juli gültigen Regelungen verständigt haben, ist schwer nachvollziehbar, dass derzeit noch nach den bisherigen Vereinbarungen retaxiert wird, wenn einer Krankenkasse die therapiegerechte Versorgung ihrer Versicherten am Herzen liegt.

Was läge daher näher, als in solchen Fällen übergangsweise den neuen § 3 (1) 7e Rahmenvertrag anzuwenden und auf eine Retax zu verzichten?
Aber darauf vertrauen sollten wir ApothekerINNEN aufgrund der bisherigen Retaxationen bei manchen Rezeptprüfstellen wohl lieber nicht!

Apotheker Dieter Drinhaus, DAP Foren

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