Unberechtigte Aut-idem-Retax über 1,30 Euro

Eigentlich ist der Fall, von dem ein Mitglied des DAP Retaxforums seinen Kolleginnen und Kollegen dort berichtet, kaum nachvollziehbar: Die Apotheke wurde wegen 1,30 Euro retaxiert, da die Krankenkasse der Meinung ist, dass bei einem gesetztem Aut-idem-Kreuz auch die verordnete Menge genau einzuhalten sei.

Sie erinnern sich vielleicht noch an die lange zurückliegende Diskussion über Normkennzeichen, als immer die kleinste Packungsgröße abgegeben werden musste, was dazu führte, dass unter den Herstellern ein „Wettbewerb“ um die Markteinführung der kleinsten N-Packungsgrößen einsetzte, um Mitbewerber von einer potenziellen Substitution auszuschließen. Auf Drängen der Krankenkassen hat sich der Gesetzgeber entschlossen, alle Packungsgrößen eines gleichen N-Bereichs – unabhängig von der tatsächlichen Stückzahl – als „identische Packungsgrößen“ zu definieren, um diesen versorgungsfeindlichen „Wettbewerb“ zu beenden.

129 Abs. 1 Satz 2 SGB V (Rahmenvertrag über die Arzneimittelversorgung)

„Bei der Abgabe eines Arzneimittels nach Satz 1 Nummer 1 haben die Apotheken ein Arzneimittel abzugeben, das mit dem verordneten in Wirkstärke und Packungsgröße identisch ist, für ein gleiches Anwendungsgebiet zugelassen ist und die gleiche oder eine austauschbare Darreichungsform besitzt; als identisch gelten dabei Packungsgrößen mit dem gleichen Packungsgrößenkennzeichen nach der in § 31 Absatz 4 genannten Rechtsverordnung.

In den Folgejahren wurde dann versucht, durch immer differenziertere Vorschriften, Vereinbarungen und Ausnahmen die korrekte Abgabe der Normgrößen laut Packungsgrößenverordnung festzulegen.

Besonders ärgerlich ist es daher, wenn, wie im folgenden Beispiel, „Mini-Retaxationen“ für eigentlich als geregelt geltende Fälle ausgesprochen werden. 

Der Fall

Krankenkasse: AOK Sachsen-Anhalt (IK 101097008)
Verordnet:Pantoprazol TAD 40 mg TMR N3 98 St. mit Aut-idem-Kreuz
Verordnungs- und Abgabedatum:29.06.2017

Im Handel sind zwei N3-Packungen: 98 Stück und 100 Stück.

Vorschriftskonform abgegeben, weil lagervorrätig, hat die Apotheke die 100er-N3-Packung. Beide N3-Packungen waren zudem am Abgabetag für die entsprechende Krankenkasse rabattiert, sodass es zu diesem Zeitpunkt auch keine bevorzugt abzugebende N3-Packung gab.

Dennoch hat die Krankenkasse auf den Preis der kleineren Packung retaxiert, mit der Begründung „abgegebene/berechnete Menge entspricht nicht der Verordnung“:

28,61 Euro - 27,31 Euro = 1,30 Euro (nach offiziellem Taxe-VK).

Nun mag zutreffen, dass die abgegebene Menge (100 Stück) nicht der verordneten Menge (98 Stück) entspricht, aber dies spielt für die Beurteilung der korrekten Abgabe keine Rolle, denn maßgebend ist nicht die verordnete Menge, sondern die laut Vorschrift abgabefähige Menge. Und eine – rechtlich ebenfalls umstrittene – Vereinbarung zur Abgabe der kleineren Menge bei gleicher N-Bezeichnung wie im vdek-Versorgungs­vertrag besteht für die vorliegende Krankenkasse nicht. Was bleibt, sind die gesetzlichen (SGB V) und vertraglichen Abgabe­vorschriften (Rahmen­vertrag). In diesen ist geregelt, dass Stückzahlen beziehungs­weise Packungs­größen eines gemein­samen Norm­bereichs als identisch anzusehen sind.

4 (1) Rahmenvertrag

„c) identische Packungsgröße,
als identisch gelten auch Packungs­größen, die nach der geltenden Fassung der Rechts­verordnung nach § 31 Absatz 4 SGB V (Packungs­größen­verordnung) dem gleichen Packungs­größen­kennzeichen zuzuordnen sind.“

Und genau diese zwischen den GKV-Kassen und dem Deutschen Apothekerverband vereinbarte Rahmen­vertrags­vorschrift ist hier anzuwenden. Zudem gibt es, wie bereits erwähnt, auch keine regionale „ergänzende Vereinbarung“ für die AOK Sachsen-Anhalt, die die Anwendung des § 4 (1) c Rahmen­vertrags abweichend regeln würde.

Aus diesem Grund hat der LAV im Auftrag der Apotheke Einspruch eingelegt (Auszug):

"U. E. bezieht sich das gesetzte Aut-idem-Kreuz ausschließlich auf die ärztlich verordnete Firma und dient dem Arzt nur dazu aus­zuschließen, dass die Apotheke ein preis­günstigeres, wirkstoff­gleiches Arznei­mittel abgibt. Es dient einzig der Arzneimittel­sicherheit bezogen auf Wirkstoffe und Hilfsstoffe, nach deren Menge und Zusammen­setzung. Diese sind im vorliegenden Fall komplett identisch, einzig die Menge ist differenziert. Gemäß § 4 (1) Rahmen­vertrag handelt es sich um ein unter seinem Produktnamen verordnetes Fertig­arzneimittel innerhalb der gleichen N-Bezeichnung. Es wurde die entsprechende Verordnung beachtet, gleichzeitig der Rabattvertrag beachtet und der Patient versorgt."

Die Argumentation des Apothekerverbandes beeindruckte die Retaxstelle offenbar wenig, denn der Einspruch wurde abgelehnt:

Diese Einspruchsablehnung entbehrt aber jeder rechtlichen oder vertraglichen Begründung. Da die Retaxstelle selbst ausführt, dass auch für die abgegebene 100er-N3-Packung ein Rabattvertrag bestand und dies tatsächlich nie in Frage gestellt wurde, ist dies als Begründung für die Retaxablehnung m. E. nicht ausreichend, denn § 4 (2) Rahmenvertrag bestimmt genau das Gegenteil:
„Treffen die Voraussetzungen nach Satz 1 bei einer Krankenkasse für mehrere rabattbegünstigte Arzneimittel zu, kann die Apotheke unter diesen frei wählen.“

Für die Behauptung, dass aufgrund des Aut-idem-Kreuzes nur die verordnete 98er-Packung vom selben Hersteller abgegeben werden durfte, bleibt die Kasse somit jeden gesetzlichen oder vertraglichen Beleg schuldig und widerspricht damit – dem auch für sie gültigen – § 4 (1) c und (2) Rahmenvertrag.

Fazit

Auch wenn es sich hier nur um eine geringe Retaxsumme handelt, ist diese unbegründete Retaxation zurückzunehmen.

DAP Retaxforum – Dieter Drinhaus

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