Retaxgefahr bei Corona-Ausnahme: Wer zahlt die Differenz bei Festbetragsüberschreitung?

Wenn sich die Corona-Zahlen wieder auf einen handhabbaren Wert senken und die Rezeptprüfer über neue Retaxsoftware verfügen, dann ist leider auch damit zu rechnen, dass sich die Prüfdienstleister die coronabedingten Ausnahmeversorgungen sehr genau ansehen werden. Dann müssen die Apotheken sicher auch verstärkt mit Retaxationen rechnen, wenn nicht alle derzeitigen Ausnahmebedingungen exakt eingehalten wurden.

Daher informiert das DAP-Team zunehmend auch über die vertragsgerechten Versorgungsbedingungen, damit Sie für diesen Fall auf der sicheren Seite sind.

Eine dieser Ausnahmeberechtigungen möchten wir Ihnen heute nochmals detaillierter vorstellen, da hier offenbar noch retaxgefährliche Unklarheiten bestehen.

Es geht um eine allgemeine Anfrage zur Retaxvorbeugung und noch nicht um eine bereits ergangene Retaxation, daher wird diesmal weder eine Verordnung gezeigt noch eine Krankenkasse genannt.

Hier die Anfrage der Apotheke an das DAP-Team:

Anfrage an das DAP-Team

„Bei Hypnorex Ret. sind Importe nicht lieferbar. Beim Hypnorex-Original muss die Kundin 25,32 € Zuzahlung/Mehrkosten leisten. Die Frage ist, ob diese Zuzahlung wirklich bezahlt werden muss (die Kundin ist bei der AOK versichert).“

Da die wenigsten Apotheken angesichts der ständig neu eintreffenden Aufträge, Vereinbarungen und Verordnungen ausreichend Zeit haben, alle Regelungen ständig exakt „im Kopf“ zu haben, möchten wir heute nochmals auf die zugrunde liegenden Rahmenvertragsergänzungen eingehen.

Da es sich um eine aktuelle Anfrage vom 14.12.20 handelt, hat das DAP-Team die anfragende Apotheke zunächst auf die grundsätzlich zu beachtenden Vorschriften des seit 01.04.20 gültigen Rahmenvertrags hingewiesen.

Weil die Apotheke eine Zuzahlung in Höhe von 25,32 Euro anführt, handelt es sich bei der verordneten Arznei um das Erstanbieterpräparat von Essential Pharma Limited:

Zu diesem Präparat gibt es nur das Erstanbieterpräparat und bezugnehmende Importe. Wir bewegen uns also im importrelevanten Markt und hier gilt:

13 Abs. 2 Rahmenvertrag (Auszug)

  1. Im importrelevanten Markt nach Absatz 1 ist grundsätzlich die Abgabe von Referenzarzneimitteln, Importarzneimitteln und preisgünstigen Importarzneimitteln möglich; liegt ein Mehrfachvertrieb vor, können unter Berücksichtigung der Regelungen des § 12 Absatz 2 auch Parallelarzneimittel sowie deren Importarzneimittel und preisgünstige Importarzneimittel abgegeben werden.
  2. Es darf nur ein Fertigarzneimittel ausgewählt werden, das abzüglich der gesetzlichen Rabatte nicht teurer als das namentlich verordnete Fertigarzneimittel ist.
  3. Hiervon ausgenommen ist der Fall, dass für dieses Mehrkosten durch den Versicherten geleistet werden müssen, aber aufzahlungsfreie Fertigarzneimittel zur Verfügung stehen; diese sind in diesem Fall bevorzugt abzugeben.
  4. Überschreitet der Abgabepreis sämtlicher zur Auswahl stehenden Fertigarzneimittel den Festbetrag, ist ein Fertigarzneimittel mit einer möglichst geringen Aufzahlung für den Versicherten auszuwählen.

Der Festbetrag liegt derzeit bei 27,43 Euro.

Jedoch war nach Aussage der Apotheke keines der mehrkostenfreien Importprodukte lieferbar (Zeilen 2–4):

Doch auch der Rahmenvertrag vom 01.04.20 wurde mittlerweile zum 1. August 2020 aufgrund des Fairer-Kassenwettbewerb-Gesetzes schon wieder geändert und Folgendes ist nun in § 11 zu finden:

11 Rahmenvertrag

„(2) Sind alle rabattierten Arzneimittel, welche nach Absatz 1 auszuwählen wären, bei Vorlage der ärztlichen Verordnung nicht verfügbar, ist die Apotheke zur Abgabe eines gemäß § 2 Absatz 10 lieferfähigen wirkstoffgleichen Arzneimittels nach Maßgabe des § 129 Absatz 1 Satz 2 SGB V berechtigt. Für die Feststellung der Nichtverfügbarkeit ist in Abweichung von § 2 Absatz 11 der Nachweis durch eine Verfügbarkeitsanfrage bei einem Großhandel ausreichend. Die Auswahl richtet sich bei Arzneimitteln nach § 9 Absatz 2 nach den Vorgaben in § 12 und bei Arzneimitteln nach § 9 Absatz 1 nach den Vorgaben in § 13. Kann auch aufgrund dieser Regelungen eine Versorgung nicht erfolgen, kann von den Vorgaben der §§ 2 Absatz 7 Satz 5, 12 Absatz 1 Satz 4, 12 Absatz 2 Satz 1 und 13 Absatz 2 Satz 2 abgewichen werden.

(3) Ist bei einer Abgabe nach Absatz 2 kein Arzneimittel zum Festbetrag verfügbar, trägt die Krankenkasse abweichend von § 31 Absatz 2 Satz 1 SGB V die Mehrkosten. Bezugsgröße für die Bemessung der Zuzahlung nach § 61 Satz 1 SGB V ist der Abgabepreis des Arzneimittels.“

Aber haben Sie auch Folgendes gelesen? Die Bestimmung, dass die Krankenkassen die Mehrkosten übernehmen, ist an eine entscheidende Bedingung geknüpft:
Die Mehrkosten (Festbetragszuzahlungen) werden von den Krankenkassen nur übernommen, wenn ein Rabattartikel nicht verfügbar ist und es keine preisgünstige Alternative unterhalb der Festbetragsgrenze gibt.

Da es sich im Falle von Hypnorex jedoch nicht um eine Nichtlieferbarkeit eines Rabattartikels handelt (da keine Rabattvereinbarung existiert), besteht die Gefahr, dass einige Krankenkassen die Nichtverfügbarkeit“ so auslegen, dass diese auch „nicht lieferbar“ sein dürfen. Bei dieser Interpretation müssten die Mehrkosten vom Patienten getragen werden.

Dies wäre eine geschickte Ausnutzung einer nicht interpretationssicher formulierten Rahmenvertrags-„Vereinbarung“, aber manche Prüfstellen werden später jede Lücke geschickt zu ihrem eigenem Vorteil nutzen. Also ist Vorsicht geboten, damit Sie nicht zu den Apotheken gehören, die später zur Kasse gebeten werden und zeitaufwändig Einspruch erheben müssen.
Denn Sie könnten einwenden, dass wiederum im Rahmenvertrag vom 1. April 2020 in § 2 Abs. 11 Definitionen auch die Verfügbarkeit geregelt ist:

2 Rahmenvertrag

(11) Nicht verfügbar:
1 Das Arzneimittel bzw. das in die Arzneimittelversorgung nach § 31 SGB V einbezogene Produkt ist nicht verfügbar, wenn es innerhalb angemessener Zeit nicht beschafft werden kann. 2 Dies ist durch zwei Verfügbarkeitsanfragen im direkten zeitlichen Zusammenhang mit der Vorlage der Verordnung durch die Apotheke nachzuweisen. […]
5 Wird die Apotheke nur durch einen Großhandel beliefert, reicht es aus, wenn die Verfügbarkeitsanfragen nach Satz 2 bei diesem einen Großhandel in angemessenem zeitlichen Abstand erfolgt sind. […]“

Um dies alles zu vermeiden, empfiehlt es sich, die Voraussetzungen und Formalien, die aus verschiedenen Ergänzungen des Rahmenvertrags hervorgehen, schon vorab zu beachten.

Apotheker Dieter Drinhaus, DAP Forum

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