Retaxfalle: Austausch von AV-Artikeln

Wenn Arzneimittel in der Apotheken-EDV als „AV“ gekennzeichnet sind, bedeutet dies, dass diese „außer Vertrieb“ gemeldet sind und nach und nach abverkauft werden. Dennoch sind solche Arzneimittel im Gegensatz zu „RW“(= Rückruf/Widerruf)-Artikeln, die nicht mehr abgegeben werden dürfen, weiterhin als abgabefähige Präparate im Handel. Nach und nach werden AV-Artikel nicht mehr über den Großhandel zu beziehen sein, stehen aber oft trotzdem noch länger in der Taxe und werden dementsprechend auch häufig noch dann verordnet, wenn sie schon gar nicht mehr erhältlich sind. Was gilt dann für die Apotheke?

Aktuelles Beispiel: AV gemeldetes BtM

Aktuell stellte uns eine Apotheke folgende Anfrage: „Wir haben ein BtM-Rezept über ‚Medikinet retard 5 mg Kps. N2 50 St. PZN 00734802‘ erhalten. Unser Computer sagt uns, dass diese außer Handel sind. Dürfen wir alternativ die N2-Packung des gleichen Arznei­mittels mit 54 Stück abgeben oder sollen wir mit 20 und 30 Stück stückeln?“

Grundsätzlich muss die Apotheke auch bei Verordnungen über AV-Arznei­mittel die Abgabe­rang­folge des Rahmen­vertrags durch­laufen und dement­sprechend zunächst schauen, ob es aut-idem-konforme Abgabe­alternativen gibt. Stehen keine rabattierten Arznei­mittel zur Auswahl, muss geprüft werden, ob je nach Ausgangs­lage eines der vier preis­günstigsten Generika im generischen Markt (§ 12 Abs. 1), ein preis­günstigeres Parallel­arznei­mittel bzw. ein zuge­höriger günstigerer Import (§ 12 Abs. 2) oder im import­relevanten Markt unter Berück­sichtigung des Ein­spar­ziels ein günstigerer Import (§ 13) zur Abgabe in Frage kommt.

Im vorliegenden Fall gibt es anstelle der N2-Packung mit 50 Stück nun eine N2-Packung derselben Stärke mit 54 Stück. Grund­sätzlich gilt, dass Packungen, die einem identischen Norm­bereich ange­hören, auch bei abweichenden Stück­zahlen gegen­einander austauschbar sind. Bei Betäubungs­mitteln gibt es jedoch die Besonderheit, dass jeweils nur stück­zahl­genau ausge­tauscht werden darf. Ein Ausweichen auf eine andere Stück­zahl ist dement­sprechend hier nicht erlaubt, die Grundlage legen BtMVV und Rahmen­vertrag fest. Nachfolgend ein Auszug aus § 9 Abs. 3 Rahmen­vertrag:

9 Abs. 3 Rahmenvertrag

„(3) Das für die Abgabe ausgewählte Fertig­arznei­mittel muss gegen­über dem ärztlich verordneten Fertig­arznei­mittel folgende Kriterien erfüllen: […]

f) kein Verstoß gegen entgegen­stehende betäubungs­mittel­rechtliche Vorschriften, die abge­gebene Menge bei Betäubungs­mitteln hat insbesondere der verordneten Menge im Sinne von § 9 Absatz 1 Nummern 3 und 4 BtMVV zu entsprechen. Bei einem Aus­tausch von Betäubungs­mitteln gilt § 2 Absatz 19. Darüber hinaus darf ein Austausch nur erfolgen, wenn hinsichtlich des Wirk­stoffs sowohl die freige­setzte Menge (gegeben­en­falls pro Zeit­einheit) als auch die Gesamt­menge an enthaltenem Wirkstoff pro Dosis­einheit identisch sind. Entsprechend müssen auch Applikations­häufigkeit und Applikations­intervall identisch sein.“

Dementsprechend kann hier nicht einfach auf die größere N2-Packung getauscht werden, dies wäre ein Verstoß gegen die BtMVV und würde einer Retax Tür und Tor öffnen.

Optionen für die Apotheke

Wenn eine Verordnung über ein AV-Arznei­mittel nicht nach der Abgabe­rangfolge des Rahmen­vertrags bedient werden kann, ist dies nach § 8 Abs. 3 Rahmen­vertrag als nicht eindeutig bestimmte Verordnung einzu­stufen: „[…] Ist ein mit ‚außer Vertrieb‘ (AV) gekenn­zeichnetes Fertig­arznei­mittel nicht mehr liefer­fähig und ist nach den Regelungen dieses Rahmen­vertrages auch keine andere Auswahl möglich, handelt es sich um ein nicht eindeutig bestimmtes Arznei­mittel. […]“
Dann kann die Apotheke nach § 7 Abs. 3 Rahmen­vertrag Rück­sprache mit dem Arzt Abhilfe schaffen:

7 Abs. 3 Rahmenvertrag

„Ist das verordnete Arznei­mittel für die Abgabe nicht eindeutig bestimmt, hat die Apotheke Rück­sprache mit dem Arzt zu nehmen und sich hieraus ergebende Korrekturen und Ergänzungen bei papier­gebundenen Verordnungen auf dem Arznei­verordnungs­blatt zu vermerken und separat abzu­zeichnen, bei der elektronischen Verordnung im elektronischen Abgabe­daten­satz aufzu­nehmen und mittels qualifizierter elektronischer Signatur zu signieren. Sofern das Korrektur- bzw. Ergänzungs­datum vom Abgabe­datum abweicht, ist dieses zusätzlich anzugeben. […]“

Die Apotheke könnte also mit dem Arzt vereinbaren, dass die Verordnung auf die 54er-Packung geändert wird, dies auf dem Rezept vermerken und mit Datum und Kürzel abzeichnen. Die gleiche Änderung muss der Arzt auf dem in seiner Praxis verbliebenen Durch­schlag eben­falls vor­nehmen.

Aktuell hat die Apotheke aufgrund der verlängerten Ausnahme­regelungen im Rahmen der SARS-CoV-2-AMVersVO außerdem die Möglichkeit, die verordnete Menge durch Abgabe einer 20er- und einer 30er-Packung zusammen­zu­stückeln. Diese Vorgehens­weise muss dann per Sonder-PZN 02567024 sowie in diesem Fall Faktor 6 auf dem Rezept dokumentiert werden. In diesem Fall müsste der Patient allerdings für beide Packungen die Zuzahlung leisten. Außerdem ist die 20er-Packung ebenfalls AV, daher müsste erst geprüft werden, ob diese überhaupt noch erhältlich ist.

Fazit

Ist ein AV-Arznei­mittel verordnet, muss dennoch die Abgabe­rang­folge des Rahmen­vertrags berück­sichtigt werden. Vor allem, wenn ein offizieller Nach­folge­artikel durch die EDV angezeigt wird, muss unbedingt geprüft werden, ob die Präparate aut-idem-konform sind, bevor der Austausch in der Apotheke erfolgt. Bei BtM müssen zudem die besonderen BtM-rechtlichen Vorgaben berück­sichtigt werden, damit man nicht in eine Retax­falle tappt.

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