Regionalverträge setzen bundesweiten „Schiedsvertrag“ außer Kraft: Hier Grippeimpfstoff

Mit Erleichterung konnten die Apotheken ihrer Fachpresse Ende Mai 2016 entnehmen, dass sich Apotheker und GKV-Kassen im Schiedsverfahren auf eine Neufassung des § 3 Rahmenvertrag einigen konnten. Dennoch bestanden schon damals auf Apothekerseite Befürchtungen, dass Rezeptprüfstellen mancher Kassen auch weiterhin nach Möglichkeiten suchen würden, nicht auf lukrative „Formretaxationen“ verzichten zu müssen.

Diese Befürchtungen haben sich leider allzu schnell bestätigt. Zunächst musste die Apothekerseite erneut die Schiedsstelle anrufen, um die rückwirkende Gültigkeit der neuen Regelungen zu bestätigen, da Versorgungen vor dem 01.06.2016 auch weiterhin nach den alten Vorschriften retaxiert wurden. Erfreulicherweise hat die Schiedsstelle daraufhin verfügt, dass die Regelungen des neuen Rahmenvertrags bereits ab dem 23.07.2015 zu berücksichtigen sind.

Aber der neue Rahmenvertrag bietet den Rezeptprüfstellen ein weiteres „Schlupfloch“, um Formfehler nach den bisherigen Vorschriften zu retaxieren:
Viele der gesetzlich gewollten neuen Retaxverbote im neuen Rahmenvertrag können durch abweichende Regelungen in ergänzenden Verträgen außer Kraft gesetzt werden, selbst wenn diese zeitlich lange vor dem „Schiedsvertrag“ vereinbart wurden!

Dass in solchen Fällen die Apotheken auch weiterhin für ärztliche „Formfehler“ finanziell haftbar gemacht werden und dabei auch nachträglich beigebrachte Arztbestätigungen nicht akzeptiert werden, zeigen die nachfolgenden Sprechstunden-Retaxationen über Grippeimpfstoffe in Baden-Württemberg:

Diese und zwei weitere SSB-Verordnungen über Grippeimpfstoff wurden der versorgenden Apotheke nicht erstattet:

Grund für die Erstattungsverweigerung ist eine „Ergänzungsvereinbarung zum Vertrag über die Belieferung und Abrechnung des Sprechstundenbedarfs in Apotheken“ vom 01.04.2015, die in Abs. 7 als Übergangsregelung bis zu einer endgültigen gerichtlichen Klärung zu Grippeverordnungen Folgendes bestimmt:

„(7) Nicht rabattierte Impfstoffe dürfen für die Dauer der Übergangsregelung nur bei der vom Arzt ergänzten und abgezeichneten Kennzeichnung „A“ (medizinisch begründeter Ausnahmefall, ggf. handschriftlich) abgegeben und abgerechnet werden. Der Apotheker ist berechtigt nach telefonischer Rücksprache mit dem Arzt die Kennzeichnung „A“ aufzutragen. Die telefonische Rücksprache ist auf dem Rezept zu vermerken und abzuzeichnen.“

Leider hat das verordnende MVZ versäumt, das im „medizinisch begründeten Ausnahmefall“ in Baden Württemberg formal erforderliche „A“ auf den Verordnungen aufzubringen. Auch die Apotheke hat es versäumt, in Rücksprache mit dem Arzt, die von ihm ausdrücklich gewünschte Abgabe von „Vaxigrip, Hersteller: Sanofi Pasteur“ bestätigen zu lassen und dabei das „A“ zusätzlich auf dem Rezept nachzutragen.

In zwei Einsprüchen der betroffenen Apotheke hat die AOK Baden Württemberg

  • die Anwendbarkeit des neuen § 3 Rahmenvertrag abgelehnt, da ihre [deutlich ältere] Ergänzungsvereinbarung vom 01.04.2015 eine Retax bei fehlendem „A“ ausdrücklich vorsehen würde und die Apotheken damals ausreichend über die Vertragslage informiert wurden:
  • und auch die rückwirkende Gültigkeit des Schiedsvertrags ab dem 23.07.2015 als „irrelevant“ erklärt:

Auch die beigebrachte Arztbestätigung des verordnenden MVZ wurde von der AOK Baden Württemberg nachträglich weder in der Einspruchsablehnung erwähnt, noch anerkannt:


Wie angesichts solcher Retaxationen der gesetzlich gebotene „Geist“ der neuen Rahmenvertragsvereinbarung auf Bundesebene zu einer entbürokratisierten, problemloseren Patientenversorgung mit weniger Form-Retaxation führen soll, bleibt fraglich.

Solange ältere regionale „Ergänzungsvereinbarungen“ nicht unverzüglich an die Vereinbarungen und die Intention des neuen Rahmenvertrags angepasst werden, ist weiterhin zu befürchten, dass Apotheken auch künftig für „Formfehler“ – auch der Ärzte – haftbar gemacht werden.

DAP – Retaxforum – Dieter Drinhaus

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