Neue Verträge schaffen neue Formfehler-Retaxationen

Die Intention des gesetzlich verlangten Schiedsverfahrens zu einer Neufassung des Rahmenvertrags zwischen Apotheken und GKV-Spitzenverband war es, durch entbürokratisierte Vertragsregelungen überzogene Retaxationen zu vermeiden, insbesondere wenn diese ohne wirtschaftlichen und arzneimittelrechtlichen Schaden lediglich Formvorschriften betreffen. Letztlich sollten die neuen Rahmenvertragsvereinbarungen in vielen Fällen auch eine schnellere Arzneimittelversorgung ohne erneuten Arztbesuch und zeitaufwändige Rezeptänderungen ermöglichen.
Diese Absicht wird im neuen Rahmenvertrag ausreichend deutlich, wenngleich noch nicht alle bekannten Probleme bis ins Detail ausformuliert sind, um auch weiterhin ergänzende Regelungen in regionalen Verträgen zu ermöglichen.

Völlig kontraproduktiv werden jedoch die neuen Rahmenvorgaben, wenn diese zu neuen Nullretaxationen genutzt werden, weil bis dato noch keine Sanktionen vereinbart wurden, wenn eine Apotheke die ihr zugestandenen Rechte zu Änderungen und Ergänzungen nutzt, aber die damit verbundene Pflicht zur Dokumentation auf der Verordnung versäumt.

Krankenkasse: AOK Bayern (IK 108310400)
Verordnung:Formoterol/Beclomethason 100/6 µg N3
Abgabedatum:30.05.2016

Da es bei dieser Wirkstoffverordnung einer Arzt-EDV vermutlich nicht möglich war, zusätzlich eine im Handel befindliche Darreichungsform vorzugeben, hat es der Arzt der Apotheke überlassen, die benötigte inhalative Applikationsform auszuwählen. Aufgrund der Rabattvertragssituation mit der AOK Bayern kommen hierfür zwei mögliche Applikationsformen für die vorrangig abzugebende Rabattarznei in Frage: Ein Dosieraerosol oder ein Inhalationspulver.


Das Recht, eine für die Patientin geeignete Applikationsform auszuwählen, gesteht auch der neue Rahmenvertrag der abgebenden Apotheke zu, ebenso wie der neue Apothekenvertrag für Bayern:

3 (12) ALV Bayern

„Enthält eine Verordnung hinsichtlich der Darreichungsform oder Wirkstärke unvollständige oder ungenaue Angaben und ist der Vertragsarzt nicht erreichbar, so ist der Apotheker berechtigt, diejenige Darreichungsform oder Wirkstärke abzugeben, die er nach pflichtgemäßem Ermessen für die richtige hält; das Verordnungsblatt ist vom Apotheker entsprechend zu ergänzen und abzuzeichnen.“

Dieses Recht hat die versorgende Apotheke wahrgenommen und zusammen mit der Patientin die von ihr benötigte und gewohnte Darreichungsform bestimmt (Dosieraerosol).

Verbunden mit dem Recht zur fachkundigen Auswahl ist jedoch auch die Pflicht das „Verordnungsblatt […] entsprechend zu ergänzen und abzuzeichnen“.

Diese formal erforderliche Mitteilung an die Krankenkasse hat die Apotheke jedoch versäumt, was die Rezeptprüfstelle der AOK Bayern zum Anlass nahm, der Apotheke die Erstattung ihrer fachlich und wirtschaftlich korrekten Versorgung vollständig zu verweigern:

Beide möglichen Darreichungsformen der Rabattarznei „Foster 100/6 µg“ haben zudem den gleichen Abgabepreis von 108,24 Euro – es ist also der AOK Bayern weder ein wirtschaftlicher, noch ein arzneimittelrechtlicher Schaden entstanden!

Da hier für die vorgeschriebene Abgabe ohnehin nur zwei inhalativ anzuwendende Applikationsformen zur Auswahl stehen, könnte man durchaus diskutieren, ob in diesem speziellen Fall eine Ergänzung der Darreichungsform gemäß Fußnote 1 zu § 3 (1) 3 überhaupt erforderlich ist:

3 (1) 3 Fußnote

„1 Hierdurch sind folgende Angaben auf dem Verordnungsblatt erfasst:

1. Name, Vorname, Berufsbezeichnung und Anschrift der Praxis oder der Klinik der verschreibenden Person (BtMVV: einschließlich Telefonnummer),
2. Datum der Ausfertigung, Ausstellungsdatum, […]
7. Darreichungsformen, sofern Angabe zusätzlich notwendig […].“

Fazit

Im vorliegendem Fall…

  • bestand kein Problem bezüglich der Arzneimittelsicherheit,
  • entstand kein wirtschaftlicher Nachteil für die AOK Bayern, da beide Darreichungsformen rabattiert und preislich identisch waren und
  • die erforderliche Darreichungsform wurde mit der Patientin abgeklärt.

Was bleibt, ist lediglich ein Formfehler. Für diesen ist dabei weder im Rahmenvertrag, noch im ALV Bayern eine Nullretax vereinbart worden.
Hier wäre es im Gegenteil der Krankenkasse sogar gem. § 3 (1) Rahmenvertrag vertraglich erlaubt, ganz oder teilweise auf eine Retaxation zu verzichten.

DAP – Retaxforum – Dieter Drinhaus

Neuen Kommentar schreiben

Sie müssen angemeldet sein, um die Kommentarfunktion nutzen zu können.

DAP Newsletter

Immer aktuell informiert mit dem DAP Newsletter: zur Newsletter-Anmeldung