Nächste Mehrkostenretax trotz fehlender aufzahlungsfreier Abgabealternative – wann wird Abhilfe geschaffen?
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Mehrkostenretaxationen gehören momentan zu den häufigsten Retaxfallen, immer wieder berichten uns Apotheken von Rezepten, bei denen die Mehrkosten zulasten der GKV abgerechnet, diese aber nachträglich wieder gekürzt wurden.
Aktuelles Beispiel
Heute möchten wir ein weiteres Beispiel vorstellen. Verordnet war im November 2021 „Fluvastatin ABZ 20 mg Kart HKP N2 50 St. PZN 06714315 >>0–0–1–0<<“ zulasten der IKK gesund plus.
Die Apotheke prüfte auf Rabattarzneimittel, die aber zum Abgabezeitpunkt nicht existierten, und gab, da keine Alternative lieferbar war, das verordnete Präparat ab. Die Abgabe wurde mit Sonder-PZN sowie handschriftlicher Begründung auf dem Rezept dokumentiert, die Apotheke hielt sogar vorher Rücksprache mit der Arztpraxis.
Die anfallenden Mehrkosten berechnete die Apotheke ebenfalls zulasten der GKV, da es keine mehrkostenfreie Alternative gab (selbst wenn die Aut-idem-Präparate verfügbar gewesen wären, wären auch darunter keine Präparate ohne Mehrkosten gewesen).
Allerdings erfolgte auch in diesem Fall nachträglich eine Kürzung, und zwar mit der Begründung „Festbetrag nach § 35 SGB V“ – die Mehrkosten wurden der Apotheke in Rechnung gestellt.
Hier geht es zwar nur um 5,08 Euro, dennoch zeigt es eine generelle Schieflage, die weiterhin einer Klärung bedarf.
Laut Rahmenvertrag sind Apotheken angehalten, ihre Patienten mit Arzneimitteln zu versorgen, für die nach Möglichkeit keine Mehrkosten anfallen, so steht es unter anderem in § 7 Abs. 5: „Die Abgabe mehrkostenpflichtiger Arzneimittel ist zu vermeiden.“
Keine mehrkostenfreie Abgabe möglich – und nun?
Was aber ist zu tun, wenn es keine Alternative zur Abgabe mehrkostenpflichtiger Arzneimittel gibt? Dies ist derzeit im Rahmenvertrag nur unbefriedigend gelöst, denn hier wird nur der Fall betrachtet, dass alle Rabattarzneimittel nicht verfügbar sind, und nicht, dass auch kein anderes aut-idem-fähiges Präparat ohne Mehrkosten abgegeben werden kann:
11 Abs. 2 Rahmenvertrag
"Sind alle rabattierten Fertigarzneimittel, welche nach Absatz 1 auszuwählen wären, bei Vorlage der ärztlichen Verordnung nicht verfügbar, ist die Apotheke zur Abgabe eines gemäß § 2 Absatz 10 lieferfähigen wirkstoffgleichen Fertigarzneimittels nach Maßgabe des § 129 Absatz 1 Satz 2 SGB V berechtigt […]"
11 Abs. 3 Rahmenvertrag
„Ist bei einer Abgabe nach Absatz 2 kein Fertigarzneimittel zum Festbetrag verfügbar, trägt die Krankenkasse abweichend von § 31 Absatz 2 Satz 1 SGB V die Mehrkosten. Bezugsgröße für die Bemessung der Zuzahlung nach § 61 Satz 1 SGB V ist der Abgabepreis des Fertigarzneimittels.“
Nur in diesem Fall erlaubt die aktuelle Vertragslage also, dass Mehrkosten zulasten der GKV berechnet werden. Dabei wird außer Acht gelassen, dass es zahlreiche andere Abgabekonstellationen gibt, bei denen keine Rabattverträge bestehen, die Apotheke aber trotzdem – wie im vorliegenden Fall – nur die Auswahl zwischen mehrkostenpflichtigen Arzneimitteln hat. Kann es richtig sein, dass der Patient auch in diesem Fall mit den Mehrkosten belastet werden muss? Oder dass, wenn die Apotheke die Mehrkosten der GKV in Rechnung stellt, weil es keine Alternative gibt und dann retaxiert wird, letztlich die Apotheke zur Kasse gebeten wird?
Schreiben des Bundesamts für Soziale Sicherung
Bereits im Frühjahr dieses Jahres berichteten wir über ein Schreiben des Bundesamts für Soziale Sicherung, das auf diese Schieflage aufmerksam macht und Klärung im Rahmenvertrag fordert.
Nachfolgend ein Auszug aus diesem Schreiben (Rundschreiben des Bundesamts für Soziale Sicherung, „Mehrkosten bei Abgabe eines Arzneimittels“; 19. Januar 2022, AZ: 211-5411.3-1982/2020):
Rundschreiben des Bundesamts für Soziale Sicherung
„Seit dem 1. April 2020 gilt mit Einfügung des Absatzes 4c in § 129 SGB V (aufgrund des Fairer-Kassenwettbewerb-Gesetz, GKV-FKG) eine Neuregelung zur Abgabe von Arzneimitteln für die Versorgung bei Lieferengpässen von Rabattarzneimitteln. Geregelt wird hierfür explizit auch die Nichtgeltung von Festbeträgen, wenn die Versorgung nur mit einem Arzneimittel oberhalb des Festbetrages möglich ist. Hierfür gilt ausdrücklich das Sachleistungsprinzip.
Eine gleichartige Situation kann sich jedoch auch ergeben, wenn notwendige festbetragsgeregelte Arzneimittel, für die keine Rabattvereinbarung besteht, nicht verfügbar sind. Nach uns vorliegenden Hinweisen aus der Praxis berufen sich dann die Krankenkassen zum Teil auf das Wirtschaftlichkeitsgebot und sehen ihre Leistungspflicht gegenüber dem Versicherten mit dem Festbetrag als erfüllt an (vgl. § 12 Abs. 2 SGB V, § 31 Abs. 2 Satz 1 SGB V).
Allerdings sehen wir an dieser Stelle eine Verletzung des Sachleistungsanspruchs des Versicherten nach § 2 SGB V. Die Abgabe des Arzneimittels über dem Festbetrag erfolgt hier nicht etwa auf Wunsch des Versicherten, sondern nur wegen der Lieferschwierigkeiten. Diese liegen nicht im Verantwortungsbereich des Versicherten.“
Dieses Schreiben trifft auch auf den aktuellen Retaxfall zu, da die Apotheke hier gar keine andere Möglichkeit hatte, den Patienten zu versorgen. In diesem Fall sollten die Patienten nach aktuellem Stand die Mehrkosten zunächst in der Apotheke bezahlen und dann die Quittung mit den ausgewiesenen Mehrkosten bei ihrer Krankenkasse einreichen, damit ihnen diese erstattet werden.
Zielführend wäre zukünftig eine entsprechende Regelung im Rahmenvertrag analog der jetzigen Regelung in § 11 Abs. 3. So wäre die Abrechnung direkt über die GKV möglich.
Ausgang des Einspruchs noch unklar
Die betroffene Apotheke wird auf Grundlage dieses Schreibens Einspruch erheben. Es bleibt abzuwarten, wie dieser Einzelfall bewertet wird und ob vielleicht auch das Thema Mehrkostenabrechnung zulasten der GKV neben aktuellen Themen wie Coronasonderregelungen, Biologika und pharmazeutischen Dienstleistungen wieder mehr in den Fokus rückt.
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