„Glaskugel“ als Pflichtausstattung für wirtschaftlichste Stückelung

Dass die Formulierungen des alten § 6 Rahmenvertrag auch in den neuen Rahmenvertrag übernommen wurden, hat sich als kostspieliger Nachteil für viele versorgende Apotheken erwiesen. Daran konnten leider auch die wegbereitenden Neuregelungen in § 3 (1) nichts ändern, da bis dato zu den seit Jahren bestehenden Problemen keine therapiekonformen, patienten- und apothekenpraktikablen Regelungen vereinbart wurden.

Bei der Versorgung mit rabattierten Arzneimitteln sieht der Rahmenvertrag eine freie Auswahl der Apotheke unter den rabattierten Arzneimitteln vor:

4 (2) Auswahl preisgünstiger Arzneimittel

„1 Die Apotheke hat vorrangig ein wirkstoffgleiches Fertigarzneimittel abzugeben, für das ein Rabattvertrag nach § 130a Absatz 8 SGB V („rabattbegünstigtes Arzneimittel“) besteht, […]. Treffen die Voraussetzungen nach Satz 1 bei einer Krankenkasse für mehrere rabattbegünstigte Arzneimittel zu, kann die Apotheke unter diesen frei wählen.

Diese Auswahlmöglichkeit ist auch unbedingt erforderlich, da die letztlich zwischen Herstellern und Krankenkassen vereinbarten Preise den Apotheken nicht mitgeteilt werden und somit keine Möglichkeit besteht, unter den Rabattarzneimitteln die für die Krankenkasse wirtschaftlichste Abgabe zu ermitteln.

Dies wird jedoch von Krankenkassen – denen die von ihrem Spitzenverband näher geregelten Vereinbarungen oft nicht weit genug gehen – mitunter anders beurteilt: Sie meinen sich in immer neuen Retaxvariationen auf die allgemeine Wirtschaftlichkeitsverpflichtung des § 12 SGB V berufen zu müssen.

Dass dabei häufig über das Ziel hinausgeschossen wird, zeigt die folgende Retaxation, die bei der Arzneimittelversorgung eigentlich „hellseherische Fähigkeiten“ oder eine „Glaskugel“ erfordern würde.

Der Retaxfall

 

Krankenkasse: AOK Rheinland/Hamburg
Verordnet: 2 x Remsima 100 mg PIK N1 3 Stück
Verordnungsdatum: 17.03.17

Die Verordnung wurde, wie ärztlich gewünscht, mit 2 Packungen N1 zu je 3 Stück (= 6 Stück) versorgt. Die Krankenkasse retaxierte allerdings, ohne entsprechende vertragliche Vereinbarung, auf die für sie günstigere Stückelung in eine N2 mit 5 Stück plus eine Einzelpackung ohne Normbezeichnung:

 

Da es für diese Art von wirtschaftlicher Stückelung verständlicherweise keine Vertragsgrundlage gab und gibt, hat die Apotheke Einspruch erhoben und dabei dargelegt,

  • dass eine Verpflichtung zur Suche nach der für eine Krankenkasse wirtschaftlichsten „Stückelung“ einer eindeutig verordneten Versorgungsmenge in keinem Vertrag vereinbart ist. Dies wäre im täglichen Apothekenbetrieb auch gar nicht durchführbar.
     
  • dass dies auch gerichtlich so beurteilt wird:
    ➔ BSG Urteil Az. B 3 KR 7/05 R
    ➔ LSG Thüringen L 6 KR 690/12

    Nachfolgend Auszüge aus dem aktuelleren Urteil vom LSG Thüringen vom 25. August 2015 (L 6 KR 690/12):

    „Ein Verstoß der Klägerin [Apotheke] gegen das in § 129 Abs. 1 SGB V normierte Wirtschaftlichkeitsgebot liegt hier nicht vor. DIE ÄRZTE HABEN KEINE UNBESTIMMTE MENGE VON ARZNEIMITTELN VERORDNET. Schließlich – und damit entfällt auch die Unwirtschaftlichkeit nach § 6 Abs. 3 des Rahmenvertrags […], ist in keiner der vertragsärztlichen Verordnungen eine Verordnung nach Stückzahl erfolgt. Die Ärzte haben vielmehr zahlenmäßig genau bestimmte Packungen […] verordnet. Diese Verordnungen sind eindeutig. Die verordnete Packung existiert auch; es bestand insoweit keine andere Möglichkeit der Erfüllung der vertragsärztlichen Verordnung für die Klägerin.“
     
  • dass es zudem vertraglich nur in einem Fall zulässig ist, eine genau verordnete N-Packung gegen eine Packung mit anderer N-Bezeichnung auszutauschen: Nämlich dann, wenn mehrere Packungen der verordneten N-Größe zusammen genau die Stückzahl der nächsthöheren N-Größe ergeben.

    Beispiel: „2 x 3 Stück N1“ müssten vertraglich durch „1 x 6 Stück N2“ ersetzt werden, nicht jedoch „2 x 3 Stück N1“ gegen „1 x N2 mit 5 Stück + 1 x 1 Stück ohne Normkennzeichen“.
     
  • dass eine Apotheke nur dann eine Entscheidung zur Wirtschaftlichkeit für die Krankenkasse treffen könnte, wenn ihr alle Preise bekannt wären, die die jeweilige Kasse mit den jeweiligen Herstellern verhandelt hat. Solange diese jedoch streng geheim bleiben, gibt es verständlicherweise für die Apotheke bei Rabattarzneimitteln keine Vergleichsmöglichkeiten!

Die vorliegende Krankenkasse lehnte jedoch den Einspruch der Apotheke ab:

Fazit

Da ich hier nicht ernsthaft zur Beschaffung einer „Glaskugel“ raten möchte, bleibt der betroffenen Apotheke eigentlich nur noch der Weg, die Schiedsstelle anzurufen oder einen Anwalt zu beauftragen.

Apotheker Dieter Drinhaus, DAP Forum

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