Erst Warnung, dann Retax?
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Dass es in § 3 (1) Rahmenvertrag den Passus gibt, eine Krankenkasse dürfe selbst entscheiden, auf eine Retax zu verzichten, ist offensichtlich nur ein „Lorem ipsum“, also ein Blindtext, der ausschließlich dazu dient, das Vertragspapier zu füllen. Bis dato habe ich noch keine einzige Mitteilung von meinen Kolleginnen und Kollegen erhalten, dass dieser Passus tatsächlich schon einmal zum Vorteil der Apotheken genutzt wurde. Dabei hatten wir schon mehrfach darauf hingewiesen, dass es statt einer Retax auch ein Hinweis auf einen „Formfehler“ getan hätte – natürlich nur, wenn weder ein therapeutisches Problem für den Patienten noch ein wirtschaftlicher Nachteil für die Kasse entstanden ist.
Umso erstaunter waren wir daher, als uns die Mitteilung einer Apotheke erreichte, statt einer Retax sei „lediglich“ ein Hinweis ausgesprochen worden. Die Freude darüber wurde jedoch schon sehr schnell wieder von der Realität eingeholt, als sich bei näherer Prüfung herausstellte, dass eine Retax ohnehin nicht gerechtfertigt wäre und sich somit der vermeintlich freundliche „Hinweis“ in eine unberechtigte „Drohung“ verwandelte:
Krankenkasse: | AOK Rheinland/Hamburg (IK 101519213) |
Verordnet: | 2 x Cellcept 500 mg TAB 150 St. N2 ! |
Abgabedatum: | 15.09.2017 |
Da es von der 500-mg-Stärke – im Gegensatz zur 250-mg-Stärke – keine N3 mit 300 St. im Handel gibt, hat die Apotheke, wie ärztlich ausdrücklich gewünscht, „2 x N2!“ à 150 St. abgegeben. Auch eine Stückelung mit 250 St. plus 50 St. wäre für die Kasse nicht günstiger gewesen:
Dies wurde von der Krankenkasse jedoch als unwirtschaftliche Abgabe angesehen und mit dem bisher neuen „Hinweis“ anstelle einer Retax geahndet:
Hier wird, wie so oft, auf den veralteten, therapiewidrigen § 6 (3) Rahmenvertrag Bezug genommen, obwohl
- es sich hier nicht um eine reine, unbestimmte Stückzahlverordnung (z. B. 300 St.) handelt, sondern um eine eindeutig bestimmte Verordnung von 2 Packungen N2 zu je 150 St. Zudem hat der Arzt deren Notwendigkeit auch noch mit einem „!“ bestätigt.
- die gesetzliche Vorgabe des § 31 (4) SGB V seit Jahren in § 6 Rahmenvertrag nicht korrekt umgesetzt wird, da im SGB V nur die Abgabe EINER Fertigarzneimittelpackung geregelt ist, deren Packungsgröße die größte der aufgrund der Verordnung nach Satz 1 bestimmte Packungsgröße übersteigt. Nur solche Packungsgrößen sind von der Versorgung zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung ausgenommen worden. Die Abgabe von mehreren, therapeutisch benötigten Packungen und deren addierter Inhalte hat der Gesetzgeber nie untersagt!
Dies sieht auch die aktuellere Rechtsprechung so. Nachfolgend ein Auszug aus dem Urteil des LSG Thüringen vom 25. August 2015 – L 6 KR 690/12 – juris:
„Ein Verstoß der Klägerin [Apotheke] gegen das in § 129 Abs. 1 SGB V normierte Wirtschaftlichkeitsgebot liegt hier nicht vor. Die Ärzte haben keine unbestimmte Menge von Arzneimitteln verordnet. Schließlich – und damit entfällt auch die Unwirtschaftlichkeit nach § 6 Abs. 3 des Rahmenvertrages –, jedenfalls soweit es die Klägerin betrifft, ist in keiner der vertragsärztlichen Verordnungen eine Verordnung nach Stückzahl erfolgt. Die Ärzte haben vielmehr zahlenmäßig genau bestimmte Packungen […] verordnet.Diese Verordnungen sind eindeutig. Die verordnete Packung existiert auch; es bestand insoweit keine andere Möglichkeit der Erfüllung der vertragsärztlichen Verordnung für die Klägerin.“
Eine Retax wegen „Unwirtschaftlichkeit“ sollte daher in solchen Fällen nicht mehr ausgesprochen werden, wenn einer Krankenkasse die therapiegerechte Versorgung ihrer Versicherten am Herzen liegt. Was läge also näher, als in diesem Fall den neuen § 3 (1) 7e Rahmenvertrag anzuwenden und auf eine Retax zu verzichten, anstatt diese für die Zukunft „anzukündigen“?
3 Absatz 1 Nr. 7e Rahmenvertrag
„die Apotheke bei einer Verordnung, für die § 6 dieses Vertrages keine Regelung enthält, unter Beachtung der Wirtschaftlichkeit und des Vorranges der Abgabe rabattbegünstigter Arzneimittel Packungen bis zu der vom Arzt insgesamt verordneten Menge abgibt (§ 31 Absatz 4 SGB V);“
Dennoch wird die Apotheke weiterhin häufig wegen des § 6 (3) Rahmenvertrag bei Abgabe der ärztlich benötigten Versorgungsmenge retaxiert oder es wird ihr – wie hier – künftig eine Retax angedroht:
„Bei der o. g. Verordnung überschritt die nach Stückzahl verordnete Menge die größte für das Fertigarzneimittel festgelegt Messzahl. Daher hätte in diesem Fall nur eine Abgabe von einer Packung der Nmax, also insg. 250 Tbl., erfolgen dürfen. Dennoch wurde die Verordnung von Ihnen mit zwei Packungen der Normgröße N2 beliefert.“
Zudem führt die Kasse unverständlicherweise an, dass ihr ein wirtschaftlicher Schaden entstanden sei:
„Durch diesen Verstoß gegen § 6 Abs. 3 Satz 1 des Rahmenvertrages nach § 129 Abs. 2 SGB V ist uns ein wirtschaftlicher Schaden entstanden.“
Im gleichen Schreiben gesteht sie jedoch selbst zu, dass hier „hinsichtlich der Verordnungsmengen und Verordnungsabstände insgesamt keine Überversorgung vorlag“:
„Sollten Sie ab sofort weiterhin gegen § 6 Abs. 3 Satz 1 des Rahmenvertrages nach § 129 Abs. 2 SGB V verstoßen, so behalten wir uns die Retaxation dieses Verstoßes vor. Dies auch in den Fällen, in denen – wie hier – hinsichtlich der Verordnungsmengen und Verordnungsabstände insgesamt keine Überversorgung vorlag.“
Fazit
Dass hier weder ein Verstoß gegen die gesetzliche Vorschrift noch gegen den § 6 Rahmenvertrag vorlag, haben wir aufgezeigt. Dass kein wirtschaftlicher Schaden entstand, hat die Krankenkasse selbst ausgeführt. Ein therapeutischer Nachteil ist bei verordnungsgetreuer Versorgung natürlich ebenfalls nicht entstanden.
Daher sollten solche Retaxankündigungen in strittigen Fällen unterbleiben, da sie eine einschüchternde Wirkung auf die Apotheken haben könnten – unter Umständen auch zum Nachteil der ärztlich gebotenen Versorgung der Patienten.
Apotheker Dieter Drinhaus, DAP Forum
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