Der „Geist“ des neuen Rahmenvertrags ist wieder in der Flasche verschwunden

Beinahe täglich erreichen das DAP Retaxforum Meldungen über Retaxationen, die leider zeigen, dass der „Geist“ der neuen Rahmenvertragsregelungen für eine entbürokratisierte, problemlosere Patientenversorgung bei einigen Krankenkassen nicht angekommen ist. Die Vorstellung, dass uns ein guter „Geist“ nun lebenslang bei der schnellen und unbürokratischen Patientenversorgung zu Diensten sein sollte, wäre auch zu schön gewesen.

Dies wird gerade bei solchen Problemen sichtbar, die zwar auf einen „Fehler“ der Apotheke zurückgehen, aber weder einen wirtschaftlichen Nachteil für die Krankenkasse noch ein Problem für die Arzneimittelsicherheit zur Folge hatten – solche „Formfehler“ sollten nämlich eigentlich nicht mehr retaxiert werden.

Nun ist offenbar aber eher das Gegenteil der Fall: Es fällt besonders auf, dass derzeit bestimmte Krankenkassen wieder verstärkt auf unvollständige ärztliche BtM-Verordnungen prüfen und vorhandene Verordnungsfehler zum Anlass nehmen, sich die Patientenversorgung von der Apotheke bezahlen zu lassen, wenn diese diese Verordnungen ohne Korrektur vor der Abgabe beliefert haben.

Der Fall

Krankenkasse: Die retaxierende Krankenkasse wird auf Wunsch der betroffenen Apotheke nicht genannt.
Verordnet wurden:Palexia 200 mg Grünenthal N3 100 Retardtabletten
Verordnungsdatum:im September 2016

Leider hat die Apotheke hier übersehen, dass bereits mit dieser einen Verordnung die Tapentadol-BtM-Höchstmenge von 18.000 mg innerhalb von 30 Tagen überschritten wurde (100 Tbl. à 200 mg = 20.000 mg):

Wenn eine Apotheke von ihrer EDV nicht – wie in der nachfolgenden Abbildung – auf eine Höchstmengenüberschreitung hingewiesen wird, ist es nachvollziehbar, wenn diese 500-Euro-Retaxfalle im Apothekenalltag übersehen wird:

Die betroffene Apotheke erinnerte sich auch noch an die Diskussionen über die amtsanmaßenden Retaxationen Ende 2011, die die Versorgung der BtM-Patienten lahm zu legen drohten und legte Einspruch ein.

In ihrem Einspruch wies die Apotheke zu Recht darauf hin, dass Krankenkassen keine Aufsichtsbehörden der Apotheken sind, diese Retaxation rechtsmissbräuchlich sei, weil sie nicht dem Liefervertrag entspräche und eine nachträgliche „Heilung“ dieses ärztlichen Verordnungsfehlers nicht untersagt werden könne.

Die Rezeptprüfstelle lehnte es erwartungsgemäß ab, dem Einspruch stattzugeben. Dabei weist sie u. a. auf die „Prüf- und Sorgfaltspflichten“ der Apotheken hin, lässt aber ihrerseits peinlicherweise ebenfalls die erforderliche Sorgfalt vermissen, da sie das fehlende „Höchstmengen-A“ mit einem Text reklamiert, der sich auf eine „fehlende Gebrauchsanweisung“ bezieht:

Geht man als Apotheke davon aus, dass der DAV-Kommentar zum Rahmenvertrag keine einseitige Stellungnahme des Deutschen Apotheker Verbandes ist, sondern auf den Gesprächen zu den Rahmenvertragsverhandlungen beruht, dann wurde die Bedeutung des „fehlenden A“ dort offenbar nicht so hoch angesiedelt:

DAV-Kommentar zu § 3 des Rahmenvertrags nach § 129 Absatz 2 neu gefasst durch Schiedsspruch gemäß § 129 Absatz 4 Satz 2 SGB V mit Wirkung ab dem 1. Juni 2016

§ 3 Absatz 1 Der Vergütungsanspruch, Satz 2 Ausschluss von Retaxationen, Spiegelstrich 1 – Ergänzende Verträge
Die Regelung ermöglicht es, in ergänzenden Verträgen nach § 129 Absatz 5 SGB V, über die im Rahmenvertrag nach § 129 Absatz 2 SGB V aufgeführten Ausschlüsse von Beanstandungen hinaus, das Entstehen des Vergütungsanspruchs der Apotheke vorzusehen. Auch Fehler, die in Satz 2 nicht explizit angesprochen werden, können demnach unbeachtlich sein.
Ein ergänzender Vertrag könnte etwa über die Ziffer 6 des Rahmenvertrags hinaus vorsehen, dass Beanstandungen auch dann unterbleiben, wenn die Apotheke bei Abgabe eines Betäubungsmittels das Fehlen ärztlicher Angaben gemäß § 9 BtMVV übersieht. Zu denken wäre hier beispielsweise an die Buchstaben „A“ gemäß § 2 Absatz 2 Satz 2 oder „S“ gemäß § 5 Absatz 4 BtMVV.“


Wenn dieser Kommentar die Gespräche zum Schiedsspruch zum Rahmenvertrag jemals wieder gab, dann ist dieser „Geist“ tatsächlich längst wieder in seiner Flasche verschwunden. Dort wird er vermutlich auch solange bleiben, bis wir es schaffen, endlich die ergänzenden Verträge auch in diesem Punkt vertraglich eindeutig und retaxsicher zu vereinbaren oder alle noch zu regelnden Probleme juristisch klären zu lassen.

DAP – Retaxforum – Dieter Drinhaus

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