Corona-Ausnahmebedingungen: Vorrätigkeit, Lieferbarkeit oder Botenzustellung?

Wir alle erinnern uns, dass die „erleichterten“ Versorgungs­regelungen durch die SARS-CoV-2-Arznei­mittel­versorgungs­verordnung (SARS-CoV-2-AMVersVO) einge­führt wurden, um den Patienten bei verordneten, nicht lagervor­rätigen Arznei­mitteln einen weiteren Besuch in der Apotheke zu ersparen – eine sinnvolle Absicht, die im Grund­satz auch die Zustimmung der Apothekerschaft fand.

Vorrätigkeit als Kriterium

Allerdings ist uns bei unseren letzten Beiträgen zur Corona-Stückelung und -Teilmengenabgabe aufgefallen, dass sich bei der Umsetzung in vertragliche Regelungen einige Widersprüche zu diesem Ziel und Umsetzungsprobleme mit dem Bürokratiedschungel der übrigen von den Apotheken zu beachtenden Vorschriften ergeben haben.

Zunächst konnte sich der Apothekerverband Nordrhein mit der AOK Rheinland/Hamburg darauf einigen, dass deren Versicherte nicht mehr mehrfach die dortigen Apotheken aufsuchen mussten, wenn die Rabattarzneimittel der AOK nicht lagervorrätig waren.
Im März 2020 bekundeten dann nach und nach auch alle anderen bedeutenden GKV-Kassen ihre „hohe Wertschätzung und Dankbarkeit der herausragenden Apothekenarbeit“ und versicherten, diese durch „Unterstützung über unbürokratische und die Versorgung der Versicherten zuverlässig sicherstellende Regelungen“ unterstützen zu wollen.
Zwar seien lagervorrätige, rabattierte Arzneimittel immer noch vorrangig abzugeben, aber es wurde den Apotheken und den Medien mitgeteilt, dass kein Patient nochmals die Apotheke aufsuchen müsse, wenn sein Rabattarzneimittel nicht vorrätig sei.

Nicht vorrätig ODER nicht lieferbar

Kurz darauf – Anfang April – konnten die Apotheken plötzlich in ihren Fachmedien lesen, dass das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) in seinem Referentenentwurf zur SARS-CoV-2-Arzneimittelversorgungsverordnung schreibt, dass Apotheken die weitreichenden Austauschbefugnisse gegen ein verfügbares oder lieferbares Arzneimittel erhalten sollten, wenn das verordnete oder abzugebende Arzneimittel nicht verfügbar sei:

1 Abs. 4 ENTWURF der SARS-CoV-2-Arzneimittelversorgungsverordnung

„Abweichend von § 129 Absatz 1 und 2 dürfen Apotheken in den Fällen, in denen das verordnete Arzneimittel nicht verfügbar ist, an den Versicherten ein in der Apotheke verfügbares oder an die Apotheke lieferbares wirkstoffgleiches Arzneimittel abgeben. […]“

Auszug aus dem Verordnungsentwurf

Hier wird also erstmals die Lieferbarkeit in die Voraussetzungen für die „unbürokratische“ Versorgung mit einbezogen, was die Umsetzung für die versorgende Apotheke deutlich erschwert und dem Grundgedanken, einen nochmaligen Apothekenbesuch zu vermeiden, zuwiderläuft!

Zählt nun selbst der Botendienst der Apotheken als zusätzlicher Kontakt?

Bei der Verabschiedung der Eilverordnung durch den Bundesgesundheitsminister durften die Apotheken bezogen auf die Botendienste noch lesen:

„Die vorübergehende Einführung vergüteter Botendienste für die Apotheken sowie die Einführung eines einmaligen Zuschlages tragen ebenfalls zur Minimierung des Infektionsrisikos durch reduzierte Apothekenkontakte bei.

Einerseits trägt der Botendienst somit zur Verminderung der Apothekenkontakte bei, andererseits müssen wir in der SARS-CoV-2-AMVersVO zwischen den GKV-Kassen und dem DAV genau das Gegenteil lesen:

3

„[…] Eine Stückelung ist nur dann zulässig, wenn hierdurch ein weiterer Patientenkontakt, auch in der Form einer Belieferung durch den Botendienst, vermieden werden kann.“

Nun sollte es eigentlich keine Frage sein, dass die Versorgung durch Apothekenboten immer so durchgeführt wird, dass für den Patienten und für das Apothekenpersonal kein Infektionsrisiko besteht. Wäre dies nicht der Fall, so wäre auch keine Versorgung von Home-Quarantäne-Patienten mit Arzneimitteln möglich.

Änderungswünsche der ABDA zur SARS-CoV-2-Arzneimittelversorgungsverordnung nur teilweise erfüllt:

Berücksichtigt wurde, die ursprünglich vorgesehene unklare Bedingung „nicht verfügbar“ durch die eindeutigere Bedingung „nicht vorrätig“ zu ersetzen.
Hierzu führte die ABDA in ihrer Stellungnahme aus, dass die Apotheke durch eine Vorabprüfung auf Lieferbarkeit und durch Abwarten der Belieferung dem Zweck der Kontaktminimierung zwischen Patienten und dem pharmazeutischen Personal zuwiderlaufen würde.
Außerdem bestünde dann ein Widerspruch zu den bereits getroffenen Vereinbarungen auf Regionalebene.

Leider ist es nicht gelungen, alle bestehenden Widersprüche und Unklarheiten zu beseitigen.

Vereinbarung zur technischen Umsetzung der SARS-CoV-2-Arzneimittelversorgungsverordnung des BMG vom 20. April 2020

Letztlich entscheidend, dass keine Retaxation einer Corona-Versorgung erfolgen kann, wird sein, dass sich die Apotheken genau an die Vereinbarung zur technischen Umsetzung der SARS-CoV-2-AMVersVO halten.
Daher werden wir hier noch einmal zusammenfassend auf die Vorgaben für die wohl am häufigsten genutzte und bereits im Retax-Newsletter behandelte Corona-Stückelung und die Teilmengenabgabe eingehen (gültig seit 22.04.20):

§ 3 Stückelung:

Hier heißt es in § 3:

3

„[…] Eine Stückelung ist nur dann zulässig, wenn hierdurch ein weiterer Patientenkontakt, auch in der Form einer Belieferung durch den Botendienst, vermieden werden kann.“

Und bei der Notwendigkeit kommt es laut Vereinbarung auf die „Nichtvorrätigkeit“ (in der Apotheke) an:

3 Vereinbarung zur technischen Umsetzung

„Ist das auf der Grundlage der ärztlichen Verordnung abzugebende Arzneimittel in der eigentlich abzugebenden (verordneten) Packungsgröße nicht vorrätig […]“

§ 4 Teilmengenabgabe:

Anders ist es in § 4 vereinbart, der die Teilmengenabgabe regelt:

4

„Im Fall, dass die auf der Grundlage der ärztlichen Verordnung nach den Regelungen des Rahmenvertrages nach § 129 Abs. 2 SGB V auszuwählende Packungsgröße nicht lieferbar ist und entsprechend § 1 Absatz 3 Satz 4 Ziffer 3 und § 4 Absatz 3 SARS-CoV2-AMVersVO eine Teilmenge abgegeben werden muss, gilt Folgendes: […]“

Retaxgefahr?

Dürfen wir uns daher tatsächlich auf die politische Zusicherung verlassen, dass bei Corona-Versorgung nicht retaxiert werden darf, oder werden auch hier die Prüfzentren Mittel und Wege finden, die versorgenden Apotheken bei den geringsten Formfehlern dennoch zur Kasse zu bitten?
Leider wurde dieses „Retaxverbot“ auch nicht in die Vereinbarung zur technischen Umsetzung aufgenommen.

Apotheker Dieter Drinhaus, DAP Forum

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