Cannabisverordnung: Unberechtigte Retax wegen verspäteter Genehmigung

Wir alle konnten mit der Gleichstellung von Cannabisrezepturen zu den bereits bisher verordnungs- und erstattungsfähigen Fertigarzneimitteln lesen, dass für die Apotheken keine Prüfpflicht bezüglich der Kassengenehmigungen bestünde. § 31 (6) Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) garantiert seit dem 10. März 2017 unter den nachfolgend genannten Voraussetzungen den Versorgungsanspruch der Patienten:

31 (6) SGB V (Auszug)

„Versicherte mit einer schwerwiegenden Erkrankung haben Anspruch auf Versorgung mit Cannabis in Form von getrockneten Blüten oder Extrakten in standardisierter Qualität und auf Versorgung mit Arzneimitteln mit den Wirkstoffen Dronabinol oder Nabilon, wenn

  1. eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung
    a) nicht zur Verfügung steht oder
    b) im Einzelfall nach der begründeten Einschätzung der behandelnden Vertragsärztin oder des behandelnden Vertragsarztes unter Abwägung der zu erwartenden Nebenwirkungen und unter Berücksichtigung des Krankheitszustandes der oder des Versicherten nicht zur Anwendung kommen kann,
  2. eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf oder auf schwerwiegende Symptome besteht. […]“

Verschreibungshöchstmengen

Nach § 2 BtMVV (Betäubungsmittelverschreibungsverordnung) darf der Arzt innerhalb von 30 Tagen pro Patient bis zu 100.000 mg (= 100 g) Cannabis in Form von getrockneten Blüten verordnen. Für den Delta-9-Tetrahydrocannabinol(THC)-Gehalt gilt bei Cannabisextrakt die Höchstgrenze von 1.000 mg, für Dronabinol 500 mg.

Genehmigungspflicht

Nur bei Erstverordnung ist vorab ein Antrag auf Kostenübernahme zu stellen. Die Kassen dürfen die Genehmigung nur in begründeten Ausnahmefällen ablehnen:

31 (6) SGB V – Genehmigung

„[…] Die Leistung bedarf bei der ersten Verordnung für eine Versicherte oder einen Versicherten der nur in begründeten Ausnahmefällen abzulehnenden Genehmigung der Krankenkasse, die vor Beginn der Leistung zu erteilen ist. Verordnet die Vertragsärztin oder der Vertragsarzt die Leistung nach Satz 1 im Rahmen der Versorgung nach § 37b [Anm.: Palliativversorgung], ist über den Antrag auf Genehmigung nach Satz 2 abweichend von § 13 Absatz 3a Satz 1 innerhalb von drei Tagen nach Antragseingang zu entscheiden. […]“

In allen anderen Fällen gilt die gewöhnliche Frist von drei Wochen (bei Erfordernis einer gutachterlichen Stellungnahme fünf Wochen). Die Krankenkasse darf den Antrag nur in begründeten Ausnahmefällen ablehnen:1

13 (3a) SGB V (Auszug)

„Die Krankenkasse hat über einen Antrag auf Leistungen zügig, spätestens bis zum Ablauf von drei Wochen nach Antragseingang oder in Fällen, in denen eine gutachtliche Stellungnahme, insbesondere des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (Medizinischer Dienst), eingeholt wird, innerhalb von fünf Wochen nach Antragseingang zu entscheiden. Wenn die Krankenkasse eine gutachtliche Stellungnahme für erforderlich hält, hat sie diese unverzüglich einzuholen und die Leistungsberechtigten hierüber zu unterrichten. […]
Kann die Krankenkasse Fristen nach Satz 1 oder Satz 4 nicht einhalten, teilt sie dies den Leistungsberechtigten unter Darlegung der Gründe rechtzeitig schriftlich mit. Erfolgt keine Mitteilung eines hinreichenden Grundes, gilt die Leistung nach Ablauf der Frist als genehmigt. Beschaffen sich Leistungsberechtigte nach Ablauf der Frist eine erforderliche Leistung selbst, ist die Krankenkasse zur Erstattung der hierdurch entstandenen Kosten verpflichtet. Die Krankenkasse berichtet dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen jährlich über die Anzahl der Fälle, in denen Fristen nicht eingehalten oder Kostenerstattungen vorgenommen wurden. […]“

Eine GKV-Kasse hat somit nur innerhalb der gesetzlichen Grenzen eine Genehmigungsbefugnis. Selbst diese gilt nur bei Erstverordnungen oder Verordnungsänderungen. Sie kann die Genehmigung nur ablehnen, wenn die gesetzlichen Vorgaben nicht erfüllt sind und hat zudem innerhalb der vorgeschriebenen Fristen zu entscheiden. Und wie bereits erwähnt: Eine vertragliche Prüfpflicht auf eine erteilte Kassengenehmigung existiert für die Apotheken nicht.

Umso erstaunlicher ist es, wenn uns eine Apotheke des DAP Forums von folgender Retaxation berichtet:

Krankenkasse: Siemens BKK
Verordnung:2 x Cannabisblüten Bedrocan mit 22 % THC
Verordnungsdatum:25.08.17
Retaxgrund:„Kostenübernahmeantrag bzw. Genehmigung liegt nicht vor“

Diese Retaxation betrifft inzwischen mehrere Verordnungen, da der Patient nach Mitteilung der betroffenen Apotheke erst nach einem halben Jahr seine endgültige Genehmigung zum Bezug von Medizinalcannabis zulasten der Krankenkasse erhalten hatte.
Falls es sich um eine Folgegenehmigung für den Patienten handelte, wäre eine erneute Genehmigung ohnehin nicht mehr nötig. Dies sollte die betroffene Apotheke gegebenenfalls abklären.
Aus diesem Grund verzichten viele Krankenkassen mittlerweile auch auf eine zeitliche Befristung erteilter Erstgenehmigungen. Aber selbst bei einer Erstgenehmigung hat die Krankenkasse die gesetzlich vorgegebene Genehmigungsfrist gemäß § 13 (3a) SGB V erheblich überschritten. Die Genehmigung galt nach der unberechtigten Verzögerung von einem halben Jahr automatisch als erteilt.

Fazit: Die Retaxation ist daher zurückzunehmen

Sollte dies nicht geschehen, kann die Apotheke sich auch an das Bundesversicherungsamt wenden, welches bereits in seinem Jahresbericht klarstellte, dass Krankenkassen nicht über die Dauer von Cannabistherapien entscheiden dürfen. Die Rechtsaufsicht der GKV-Kassen musste bereits diesbezügliche Fälle beanstanden und betonte, dass bei Erstgenehmigungen mit Fristüberschreitung die sogenannte „Genehmigungsfiktion“ zugunsten des Versicherten greift und die Genehmigung als automatisch erteilt gilt.
Es liegt zu diesem Sachverhalt mittlerweile auch ein Urteil des Bundessozialgerichts vom 08.03.2016 (B 1 KR 25/15 R) vor.

Apotheker Dieter Drinhaus, DAP Forum


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