Bekannt, aber ungeregelt: Die Retaxunsicherheit bleibt!
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„Für alles Bekannte weist der Rahmenvertrag nunmehr Regelungen auf und garantiert Rechtssicherheit.“
Dieser optimistische Satz aus dem Kommentar zum neuen Rahmenvertrag laut Schiedsspruch hat wohl bei vielen Apotheken die Hoffnung geweckt, dass viele unserer Retaxprobleme nach dem 01. Juni 2016 endlich der Vergangenheit angehören.
Die Erfahrung, dass das „Retaxglas“ bei einigen Krankenkassen weiterhin halb, wenn nicht sogar unverändert ganz voll ist, durften seit dem 01. Juni 2016 bereits viele Apotheken machen. Nicht nur, dass die neuen Regelungen nicht wie mitgeteilt auch für noch nicht abgeschlossene Retaxationen für Versorgungen vor dem 01. Juni 2016 angewandt werden, wir mussten auch über Retaxationen berichten, bei denen sich eine Prüfstelle auf die neue Regelung bezog, weil erst diese ihr eine Möglichkeit zur Retaxation einräumte.
Nachvollziehbar also, dass bereits sowohl von Kassen- als auch von Apothekerseite angeblich eine Neufassung des eben erst unterschriebenen Rahmenvertrags gefordert wird.
Da die aktuelle Sachlage nicht zur beabsichtigten Sicherheit in der täglichen Arzneimittelversorgung bei Apotheken, Ärzten und Patienten führt, wird verständlich, dass die ABDA nun in ihrer Stellungnahme zum Entwurf der neuen Arzneimittelverschreibungsverordnung (AMVV) bezüglich der Apothekenversorgung eine ergänzende Differenzierung in Soll- und Muss-Angaben vorschlägt, wobei fehlende Soll-Angaben künftig nicht mehr retaxiert werden dürften.
Ein gutes Beispiel für den immer noch ungeordneten „Retax-Dschungel“ und die dadurch verursachte Versorgungsunsicherheit ist nachfolgende Anfrage an das DAP-Retaxforum:
Kasse: | Es handelt sich um eine Regionalkasse (AOK), die nicht näher benannt wird, da es sich noch nicht um eine Retaxation handelt und wir eine solche natürlich auch nicht anregen wollen. |
Verordnet: | Remicade 100 mg PUL 3 St. N1 Import |
Datum: | 01.09.2016 |
Es handelt sich um eine Verordnung, die gleich mehrere Probleme enthält, die leider immer noch nicht retaxsicher beseitigt wurden:
1. Sind Import und Original auch bei Biologicals immer als identisch anzusehen?
Remicade® des Originalherstellers ist ein biotechnologisch hergestelltes Arzneimittel, an deren Austausch der Rahmenvertrag besondere Anforderungen stellt. Biologicals sind nur dann als wirkstoffgleich anzusehen und dürfen gegenseitig ausgetauscht werden, wenn dies durch Listung in der Anlage 1 des Rahmenvertrags ausdrücklich erlaubt ist.
4 (1) a Rahmenvertrag: Gleicher Wirkstoff
„[D]ie Verpflichtung der Apotheke zur Berücksichtigung dieser Arzneimittel bei der Auswahl besteht für in Anlage 1 in der jeweils gültigen Fassung als untereinander wirkstoffgleich aufgeführte Arzneimittel.“
Nun gelten Import und Original nach Meinung des Deutschen Apotheker Verbands selbst bei den ebenfalls gelisteten Wirkstoffen der Substitutionsausschlussliste (Anlage VII b der AM-RL) als identisch und austauschbar, aber bei den Biologicals hat man leider versäumt, eine ähnliche Stellungnahme zu veröffentlichen.
Dies bedeutet, dass die Apotheke weiterhin auf eigene Verantwortung entscheiden muss.
2. Sind Import und Original auch bei unterschiedlich gemeldeten Darreichungsformen immer austauschbar?
Erst kürzlich mussten wir leider berichten, dass die Barmer-GEK diese Frage auch ohne retaxsichere Vertragsvereinbarung bereits in ihrem Sinne entschieden hat und eine Retax über 7.800 Euro nicht zurücknahm. Die Kasse bezog sich hier ausdrücklich nicht auf die allgemeinen Aut-idem-Kriterien in § 4 (1) Rahmenvertrag, sondern auf § 5 (2) des Rahmenvertrags, der für den Austausch zwischen Import und Original lediglich eine nicht näher bezeichnete „therapeutisch vergleichbare Darreichungsform“ fordert.
Dass mit einer nicht näher definierten „therapeutisch vergleichbaren Darreichungsform“ weder die Apothekensysteme noch die Apotheken arbeiten können, ist leicht nachvollziehbar.
Genau dieses Problem stellt sich auch der hier betroffenen Apotheke, denn die ärztlich nicht näher präzisierte Import-Verordnung ist in den Apotheken-Systemen mit insgesamt vier verschiedenen Darreichungskürzeln gelistet: PUL, PIF, TAM sowie PIK, wie der Originalhersteller, auf den sich die Importeure laut Zulassung beziehen:
Geht die Apotheke von der Darreichungsform „PIK“ des Originalherstellers MSD aus, so werden ihr bei der Substitutionsrecherche nach § 129 SGB V ebenfalls nur Austauschpräparate mit der Darreichungsform „PIK“ angezeigt:
Unter diesen als „PIK“ deklarierten Darreichungsformen befindet sich sogar ein generisches Rabattarzneimittel (Zeile 37), welches aber nicht substituiert werden darf, da es keine einzige gemeinsame Indikation zum verordneten Remicade® aufweist (vgl. Abb. 0/11, blau umrandet).
Aus dieser nach „PIK“ sortierten Austauschanzeige gem. § 4 Rahmenvertag ist jedoch nicht erkennbar, dass ein Import existiert, der über 300 Euro billiger ist als das Original.
Dieser Umstand wird erst dann sichtbar, wenn die Apotheke manuell nach Importen mit „therapeutisch vergleichbaren Darreichungsformen“ gem. § 5 (2) Rahmenvertrag sucht, wie es beispielsweise die Barmer GEK in ihrer Einspruchsablehnung postulierte:
Originalhersteller vs. BB FA-Import: 2.638,62 – 2.332,88 = Differenz 305,74 Euro!
Nicht nur die hier betroffene Apotheke stellt sich daher die Frage:
Wie würde die AOK bezüglich der Austauschbarkeit entscheiden: Wie die Barmer GEK mit einer Retax gemäß § 5 (2) zugunsten von 300 Euro Preisvorteil oder gemäß den allgemeinen Austauschkriterien in § 4 (1) Rahmenvertrag auf eine Retax verzichten?
3. Unterschiedliche Packungsgrößen mit gleicher N1-Bezeichnung
Als würden zwei ungeklärte Probleme nicht schon ausreichen, wartet noch eine weitere Retaxfalle auf die versorgende Apotheke. Laut Packungsgrößenverordnung gehören gleich drei unterschiedliche Packungsgrößen zum ärztlich verordneten N1-Bereich: Die 2er-, die 3er- und die 4er-Packung.
Da laut SGB V und Rahmenvertrag alle Packungsgrößen eines N-Bereichs als identisch anzusehen sind, fragen manche EDV-Systeme trotz Eingabe der ausdrücklich verordneten 3er-Packung vorsorglich dennoch nach der abzugebenden Packungsgröße:
Nun ist zwar im § 4 (1) c Rahmenvertrag geregelt, dass bei ausdrücklich verordneter Menge und falsch verordneter N-Bezeichnung der genannten Stückzahl der Vorzug zu geben wäre:
4 (1) c Rahmenvertrag: Identische Packungsgröße
„[A]ls identisch gelten auch Packungsgrößen, die nach der geltenden Fassung der Rechtsverordnung nach § 31 Absatz 4 SGB V (Packungsgrößenverordnung) dem gleichen Packungsgrößenkennzeichen zuzuordnen sind. Werden Arzneimittel unter Angabe einer N-Bezeichnung und der Menge, z. B. der Stückzahl, verordnet, und ist diese Menge nicht der angegebenen N-Bezeichnung zuzuordnen, ist die verordnete Menge für die Auswahl maßgeblich.“
Aber:
Hier sind sowohl die ärztlich genannte Stückzahl als auch die genannte N1-Bezeichnung korrekt und für diesen Fall gibt es im Rahmenvertrag keine explizite Regelung zum Vorrang einer Packungsgröße! Auch der Regionalvertrag der betroffenen Apotheke bietet bei korrekter Mengen- und N-Verordnung keine explizite Regelung und ist daher in diesem Fall auch keine Hilfe. Eine entsprechende retaxsichere Klarstellung, wie im § 4 (7) vdek-Vertrag, dass bei fehlender gesetzlicher Vorschrift der verordneten Menge der Vorrang zu geben ist, fehlt hier leider.
Daher bleibt die hier ungeklärte Frage:
Würde hier die AOK trotz der ausdrücklich genannten Stückzahl auf die kleinere N1 mit 2 Stück retaxieren?
Fazit
„Für alles Bekannte weist der Rahmenvertrag nunmehr Regelungen auf und garantiert Rechtssicherheit.“
Leider sind wir von diesem hohen Anspruch noch weit entfernt! Daher bleibt auch die alles überspannende Frage: Wie lange müssen sich die Apotheken noch damit abfinden, Patienten ohne retaxsichere, eindeutige Vereinbarungen auf eigenes Risiko zu versorgen?
DAP – Retaxforum – Dieter Drinhaus
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