Mehrkostenretaxationen
Achtung: Ausgesetzte Festbeträge gelten nur noch bis 30. April 2023

Seit Anfang Februar waren für bestimmte Wirk­stoffe und Darreichungs­formen, darunter verschiedene Anti­biotika- und Fieber­säfte, die Fest­beträge auf­grund der andauernden Liefer­eng­pässe ausgesetzt. So sollten vor allem die Patienten von den durch teurere Alternativen entstehenden Mehr­kosten entlastet werden. Allerdings ist diese Fest­betrags­aus­setzung, die ange­sichts der zahl­reichen Liefer­eng­pässe auch bei anderen Arznei­mitteln offen­sichtlich ohne­hin nur ein Tropfen auf dem heißen Stein war, befristet und gilt nur noch bis zum 30. April. Ab Mai werden daher auch für die zeit­weise mehr­kosten­freien Präparate wieder Mehrkosten fällig, sofern die Hersteller ihre Preise nicht angepasst haben.

Mehrkosten weiterhin nur in Ausnahmefällen zulasten der GKV abrechenbar

An der im Rahmenvertrag festgehaltenen Regelung, wann Mehrkosten zulasten einer GKV abgerechnet werden dürfen, hat sich seither nichts geändert. Weiterhin gilt nach § 11 Abs. 3 Rahmenvertrag:

11 Abs. 3 Rahmenvertrag

„Ist bei einer Abgabe nach Absatz 2 kein Fertig­arznei­mittel zum Fest­betrag ver­fügbar, trägt die Kranken­kasse abweichend von § 31 Absatz 2 Satz 1 SGB V die Mehr­kosten. Bezugs­größe für die Bemessung der Zuzahlung nach § 61 Satz 1 SGB V ist der Abgabe­preis des Fertig­arznei­mittels.“

Die genannte Abgabe nach Absatz 2 bezieht sich dabei auf den Fall, dass kein Rabatt­arznei­mittel verfügbar ist und die Apotheke ein anderes, liefer­fähiges Arznei­mittel aus­wählen muss. Die Beschränkung der Kosten­über­nahme besteht also weiterhin: Mehrkosten dürfen nur zulasten der GKV abge­rechnet werden, wenn Rabatt­arznei­mittel nicht lieferbar sind.

Weiterhin Mehrkostenretaxationen

Auch Retaxationen treten in diesem Bereich weiterhin auf. Dies zeigt unter anderem folgender Fall, den uns eine Apotheke vorstellte. Auf eine Verordnung über „Zostex 125 mg TAB 7 St. N1 PZN 01389862“ zulasten der AOK Nordost (IK 109519005) gab die Apotheke letztlich das verordnete Präparat ab, da es zum Abgabe­zeit­punkt auf­grund von Liefer­schwierigkeiten keine Alternative ohne bzw. mit nur geringeren Mehr­kosten gab. Ein Rabatt­arznei­mittel gab es zum Abgabe­zeit­punkt nicht. Die Abgabe wurde per Sonder-PZN auf dem Rezept dokumentiert und nochmals hand­schriftlich begründet. Allerdings wurden der Apotheke im Nachgang die Mehr­kosten mit der Begründung „Preis über Fest­betrag – Arznei­mittel“ retaxiert. Streng nach Rahmen­vertrag beurteilt ist die Kranken­kasse mit dieser Retax im Recht – die Apotheke, die die Mehr­kosten nicht dem Patienten in Rechnung gestellt hat, hat das Nach­sehen. Ob Patienten aber für Mehr­kosten aufkommen müssen, wenn Nicht­rabatt­arznei­mittel nicht liefer­bar sind, darf in Frage gestellt werden.

Diese Auffassung vertritt auch das Bundes­amt für Soziale Sicherung und fordert Klärung im Rahmen­vertrag. Nachfolgend ein Auszug aus einem Schreiben dieses Bundes­amts (Rund­schreiben des Bundes­amts für Soziale Sicherung, „Mehr­kosten bei Abgabe eines Arznei­mittels“; 19. Januar 2022, AZ: 211-5411.3-1982/2020):

Auszug Rundschreiben des Bundesamts für Soziale Sicherung

„Seit dem 1. April 2020 gilt mit Einfügung des Absatzes 4c in § 129 SGB V (aufgrund des Fairer-Kassen­­wett­­bewerb-Gesetz, GKV-FKG) eine Neu­­regelung zur Abgabe von Arz­nei­­mitteln für die Versorgung bei Liefer­­eng­­pässen von Rabatt­­arznei­­mitteln. Geregelt wird hierfür explizit auch die Nicht­­geltung von Fest­­beträgen, wenn die Versorgung nur mit einem Arznei­­mittel oberhalb des Fest­betrages möglich ist. Hierfür gilt aus­drücklich das Sach­­leistungs­­prinzip.

Eine gleichartige Situation kann sich jedoch auch ergeben, wenn notwendige fest­betrags­geregelte Arznei­mittel, für die keine Rabatt­­ver­ein­barung besteht, nicht ver­fügbar sind. Nach uns vorliegenden Hinweisen aus der Praxis berufen sich dann die Kranken­kassen zum Teil auf das Wirtschaftlich­keits­gebot und sehen ihre Leistungs­pflicht gegenüber dem Versicherten mit dem Fest­betrag als erfüllt an (vgl. § 12 Abs. 2 SGB V, § 31 Abs. 2 Satz 1 SGB V).

Allerdings sehen wir an dieser Stelle eine Verletzung des Sach­leistungs­anspruchs des Versicherten nach § 2 SGB V. Die Abgabe des Arznei­mittels über dem Fest­betrag erfolgt hier nicht etwa auf Wunsch des Versicherten, sondern nur wegen der Liefer­schwierig­keiten. Diese liegen nicht im Verantwortungs­bereich des Versicherten.“

Auch im vorliegenden Fall hatte die Apotheke gar keine andere Möglichkeit, den Patienten zu versorgen. In diesem Fall sollten die Patienten nach aktuellem Stand die Mehr­kosten zunächst in der Apotheke bezahlen und dann die Quittung mit den ausge­wiesenen Mehr­kosten bei ihrer Kranken­kasse einreichen, damit ihnen diese erstattet werden. Zielführend wäre zukünftig eine entsprechende Regelung im Rahmen­vertrag analog der jetzigen Regelung in § 11 Abs. 3. So wäre die Abrechnung direkt über die GKV möglich.

Ein Kollege berichtete uns übrigens, dass er bei solchen Einsprüchen regel­mäßig Erfolg habe, allerdings nur mit reichlich „Papierkram“. Daher raten wir weiterhin zu einem Ein­spruch bei solchen Mehr­kosten­retaxationen.

Ausnahmeregelungen zu Mehrkosten bei Krankenkassen?

Um Apotheken und Patienten zu entlasten, sehen verschiedene Kranken­kassen mittler­weile auch Erleichterungen bezüglich der anfallenden Mehr­kosten vor. Jedoch gilt dies nur im Rahmen von Aus­nahme­regelungen und oft nur für ausge­wählte Wirk­stoffe. Dies sollten Apotheken jeweils prüfen – vielleicht ergibt sich so doch die Möglichkeit, die Mehr­kosten aufgrund von Liefer­eng­pässen direkt mit der GKV abzu­rechnen.

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