90 Stück wären OK – „N3“ kostet die Apotheke über 3.000 Euro
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Leider erfahren wir nahezu täglich von betroffenen Kolleginnen und Kollegen, dass nicht die ärztliche Therapiefreiheit für eine Arzneimittelversorgung maßgebend ist, sondern kaum nachvollziehbare und therapiewidrige Vertragsregelungen. Weder Arzt noch Patient haben Verständnis dafür, wenn ihnen die Apotheke mitteilen muss, dass sie eine therapeutisch benötigte Verordnungsmenge nicht abgeben darf, da sie diese ansonsten aus eigener Tasche bezahlen müsste.
Besonders ärgerlich und finanziell schmerzhaft ist es, wenn eine benötigte Verordnungsmenge selbst nach Rücksprache vor der Abgabe mit dem behandelnden Arzt anschließend nicht erstattet wird, nur weil die Apotheke es versäumte, diese Rücksprache auch auf der Verordnung zu vermerken. Nachträgliche Bestätigungen des Arztes werden von bestimmten Krankenkassen grundsätzlich nicht anerkannt – auch dann nicht, wenn der Arzt persönlich bestätigt, dass die Rücksprache mit der Apotheke ordnungsgemäß bereits vor der Abgabe erfolgte.
Der Retaxfall
Krankenkasse: | Barmer (IK 109580001) |
Krankenhaus Verordnung: | Copaxone 20 mg/ml Inj. Fl. N3 |
Abgabedatum: | 28.08.2017 |
Leider gibt es nicht selten Unterschiede zwischen den Packungsgrößen, die offiziell als therapiegerecht eingestuft und mit einer N-Bezeichnungen versehen werden, und den Packungsgrößen, die der jeweilige Hersteller als therapiegerecht erachtet und die deshalb ohne Normbezeichnung im Handel sind. So auch hier: Eine N3-Packung ist nicht im Handel, als größte Packungseinheit existiert hingegen eine Packung mit 90 Stück ohne Normkennzeichen.
Ein Blick in den DAP-Service „PZN-Checkplus“ zeigt die Einordnung in die Packungsgrößenverordung (PackungsV). Da die ärztlich gewünschte größte Packung mit 90 Stück zwischen den Normbereichen N2 und N3 liegt, darf sie keine N-Bezeichnung tragen:
Eine Abgabe ist aber grundsätzlich möglich, wenn es sich – wie in der DAP-Handlungsempfehlung zu lesen – um eine Stückzahlverordnung handelt:
Eine ärztlich gewünschte „N3“ als vermeintlich größte Packungsgröße für den therapeutisch benötigten Dreimonatsbedarf ist also nicht im Handel. Für die im Handel befindliche und nach Rücksprache mit dem Arzt auch gewünschte und benötigte 90er-Packung Copaxone 20 mg/ml Fertigspritzen ist (aus oben genannten Gründen) keine N-Bezeichnung in der Arzneimittel-Datenbank hinterlegt:
Daher geht die Rezeptprüfungsstelle der Krankenkasse davon aus, dass diese Verordnung nicht mit der benötigten 90er-Packung beliefert werden durfte. Stattdessen retaxierte man auf eine vermeintlich wirtschaftlichere N1-Packung mit 30 Stück, die bei einer Multiple-Sklerose-Dauertherapie unterm Strich allerdings sogar teurer kommt.
Die Rezeptprüfungsstelle beruft sich im Auftrag der Krankenkasse dabei zunächst auf den § 17 (5) ApBetrO:
Dass der § 17 ApBetrO hier nicht zutreffend ist und zudem die zugrundeliegende Verordnung ApBetrO und nicht ApoBetrO heißt, haben wir schon häufiger erwähnt.
17 (5) ApBetrO
„Die abgegebenen Arzneimittel müssen den Verschreibungen und den damit verbundenen Vorschriften des Fünften Buches Sozialgesetzbuch zur Arzneimittelversorgung entsprechen. Enthält eine Verschreibung einen für den Abgebenden erkennbaren Irrtum, ist sie nicht lesbar oder ergeben sich sonstige Bedenken, so darf das Arzneimittel nicht abgegeben werden, bevor die Unklarheit beseitigt ist. Der Apotheker hat jede Änderung auf der Verschreibung zu vermerken und zu unterschreiben. […]“
Für den hier vorliegenden Sachverhalt gilt der veraltete und häufig therapiefeindliche § 6 (1) des Rahmenvertrags, den die Rezeptprüfungsstelle jedoch erst später bei ihrer Einspruchsablehnung zitiert.
Entscheidend war offensichtlich nur, dass die Rezeptprüfungsstelle ihrem Auftraggeber die Vergütung dieser über 3.000 Euro teuren Versorgung ersparen konnte.
Obwohl die betroffene Apotheke ihrem Einspruch eine ärztliche Bestätigung beilegte, aus der hervorging, dass die Verordnung bereits bei der Abgabe in Rücksprache mit der Apotheke geklärt wurde, wurde dies von der Krankenkasse nicht anerkannt:
„In Zweifelsfällen entscheidet der Arzt durch Änderung der Verordnung.“ Letzteres hat der Arzt tatsächlich in der Rücksprache vor der Versorgung getan, aber manche Krankenkassen nehmen sich heraus, solche Bestätigungen „nachträglich“ nicht mehr anzuerkennen:
Vertragsgemäß ist die Rezeptprüfungsstelle formal im Recht, aber wie bereits mehrfach gezeigt, ist der § 6 Rahmenvertrag häufig nicht mehr mit der Therapiefreiheit der Ärzte vereinbar. Es ist auch für jeden Außenstehenden völlig unverständlich, wenn eine Verordnung über „90 Stück“ beliefert werden darf, eine mangels EDV handschriftlich ausgestellte Verordnung über eine vermutete N3-Großpackung jedoch nur mit therapiewidrigen, letztlich unwirtschaftlichen 30 Stück N1. Wenn zusätzlich eine ärztliche Bestätigung nicht mehr anerkannt wird, ist eine praxisgerechte Änderung des § 6 mehr als überfällig.
Apotheker Dieter Drinhaus, DAP Forum
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