Covid-19-Pandemie: Weitreichende Austauschmöglichkeiten bei Arzneimitteln beschlossen
Hinweis
Es handelt sich bei dem Inhalt dieser Seite um eine frühere Veröffentlichung. Bitte beachten Sie, dass die Aussagen gegebenenfalls nicht mehr der aktuellen Rechts- und Vertragslage entsprechen.
Bei Fragen hilft Ihnen das DAP-Team auch gerne persönlich weiter – schreiben Sie einfach eine E-Mail an insonderfo@anderesdeutschesapothekenportal.de.
Die SARS-CoV-2-Arzneimittelversorgungsverordnung ist am 21. April im Bundesanzeiger veröffentlicht worden und damit seit dem 22.04.2020 in Kraft. Mit der Verordnung nutzt das Bundesministerium für Gesundheit die jüngst durch das Bevölkerungsschutzgesetz erhaltene Befugnis, während der Covid-19-Pandemie zentral in die Arzneimittelversorgung einzugreifen.
Apotheken erhalten weitreichende Austauschbefugnisse, wenn das abzugebende Arzneimittel bzw. ein aut-idem-austauschbares Arzneimittel nicht vorrätig oder nicht lieferbar ist. Zudem werden Retaxationen untersagt, wenn die Apotheke von den Ausnahmeregeln Gebrauch macht. Weitere Ausnahmen beziehen sich auf das Entlassmanagement, die Arzneimittelpreise, Botendienst und das Betäubungsmittelrecht.
Erweiterte Austauschmöglichkeiten
Die Apotheke darf ab sofort in bestimmten Fällen von der ärztlichen Verordnung abweichen und dabei die Vorgaben zur Abgabe preisgünstiger Arzneimittel (vgl. § 129 Abs. 1 und 2 SGB V) und in einem gewissen Rahmen die Aut-idem-Kriterien außer Acht lassen. Dafür wurden Ausnahmen von den Vorgaben des Sozialgesetzbuches Fünftes Buch (SGB V) geschaffen.
1 Abs. 3 SARS-CoV-2-Arzneimittelversorgungsverordnung
„Abweichend von § 129 Absatz 1 Satz 1 bis 5 und 8 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch und dem Rahmenvertrag nach § 129 Absatz 2 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch dürfen Apotheken, wenn das auf der Grundlage der Verordnung abzugebende Arzneimittel in der Apotheke nicht vorrätig ist, an den Versicherten ein in der Apotheke vorrätiges wirkstoffgleiches Arzneimittel abgeben; ist kein wirkstoffgleiches Arzneimittel in der Apotheke vorrätig und ist das abzugebende Arzneimittel auch nicht lieferbar, darf ein lieferbares wirkstoffgleiches Arzneimittel abgegeben werden. Sofern weder das auf der Grundlage der Verordnung abzugebende noch ein wirkstoffgleiches Arzneimittel vorrätig oder lieferbar ist, dürfen Apotheken nach Rücksprache mit dem verordnenden Arzt ein pharmakologisch-therapeutisch vergleichbares Arzneimittel an den Versicherten abgeben; dies ist auf dem Arzneiverordnungsblatt zu dokumentieren. Satz 2 gilt entsprechend für den Fall, dass der verordnende Arzt den Austausch des Arzneimittels ausgeschlossen hat. Apotheken dürfen ohne Rücksprache mit dem verordnenden Arzt von der ärztlichen Verordnung im Hinblick auf Folgendes abweichen, sofern dadurch die verordnete Gesamtmenge des Wirkstoffs nicht überschritten wird:
- die Packungsgröße, auch mit einer Überschreitung der nach der Packungsgrößenverordnung definierten Messzahl,
- die Packungsanzahl,
- die Entnahme von Teilmengen aus Fertigarzneimittelpackungen, soweit die abzugebende Packungsgröße nicht lieferbar ist, und
- die Wirkstärke, sofern keine pharmazeutischen Bedenken bestehen.
Im Fall der Verschreibung von Substitutionsmitteln nach § 5 Absatz 6 der Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung findet Satz 4 Nummer 1, 2 und 4 keine Anwendung.“
Zusammenfassend heißt das:
1. Ist das auf Grundlage der Verordnung abzugebende Arzneimittel nicht in der Apotheke vorrätig, darf die Apotheke ein vorrätiges wirkstoffgleiches Arzneimittel abgeben.
2. Ist kein wirkstoffgleiches Arzneimittel vorrätig und ist das abzugebende Arzneimittel nicht lieferbar, darf ein anderes wirkstoffgleiches Arzneimittel abgegeben werden.
3. Ist weder das auf Grundlage der Verordnung abzugebende Arzneimittel noch eine wirkstoffgleiche Alternative vorrätig oder lieferbar, darf die Apotheke nun wie folgt vorgehen:
- Rücksprache mit dem Arzt → Abgabe eines pharmakologisch-therapeutisch vergleichbaren Arzneimittels (aut simile) an den Versicherten (auch bei gesetztem Aut-idem-Kreuz möglich) + Dokumentation auf dem Rezept
Ohne Rücksprache mit dem Arzt darf die Apotheke von der ärztlichen Verordnung hinsichtlich Packungsgröße* (auch mit einer Überschreitung der nach der Packungsgrößenverordnung definierten Messzahl), Packungsanzahl*, Abgabe von Teilmengen (wenn abzugebende Packungsgröße nicht lieferbar) und Wirkstärke* abweichen, ohne die verordnete Gesamtmenge des Wirkstoffs zu überschreiten.
§ 17 Abs. 5 Satz 1 und 2 und Abs. 5a Apothekenbetriebsordnung (Aut-idem-Kriterien und Abgabe einer vergleichbaren Darreichungsform im Notdienst) wird entsprechend der oben beschriebenen Ausnahmen teilweise außer Kraft gesetzt. Retaxationen sollen grundsätzlich untersagt werden, wenn die Apotheke von den oben genannten Ausnahmeregelungen bei der Rezeptbelieferung Gebrauch macht.
Bei der Abgabe von Teilmengen aus einer Arzneimittelpackung können Apotheken bei der ersten Abgabe die Zuschläge wie bei der Abgabe einer Fertigarzneimittelpackung erheben (Festzuschlag von 3 Prozent auf den EK + 8,35 Euro + 21 Cent + MwSt.). Bei der Abgabe weiterer Teilmengen aus derselben Packung an andere Patienten können Apotheken nur einen Zuschlag von 5,80 Euro erheben.
* Gilt nicht für Substitutionsmittel
Lockerungen des BtM-Rechts
Auch beim Betäubungsmittelrecht und bei Verordnungen für die Substitutionstherapie gibt es Erleichterungen. Im Hinblick auf die Substitutionstherapie opioidabhängiger Patienten ist es nun unter anderem zulässig, dass
- Substitutionsmittel bei „SZ“-Rezepten** in einer Menge von bis zu sieben aufeinanderfolgenden Tagen verschrieben werden,
- der Arzt innerhalb einer Kalenderwoche bis zu vier „SZ“-Rezepte** an den Patienten aushändigt, jedoch nicht mehr als ein Rezept pro Tag,
- der Arzt eine „SZ“-Verschreibung** oder Take-Home-Verordnung auch ohne persönliche Konsultation an den Patienten übergibt,
- Personal auch ohne entsprechende Qualifikation oder Ausbildung die Substitutionsmittel zum unmittelbaren Verbrauch überlässt, wenn Fachpersonal nicht oder nicht in ausreichender Zahl verfügbar ist (auch Botendienst-Ausführende der Apotheke über 18 Jahre),
- der Arzt eine Notfallverschreibung mit Substitutionsmitteln ausstellt, unter Beschränkung auf die zur Behebung des Notfalls erforderliche Menge.
Die Verordnung sieht zudem im Allgemeinen vor, dass BtM-Rezepte zur Sicherstellung der Versorgung auf einen anderen Arzt übertragen werden können, auch wenn es sich nicht um einen Vertretungsfall handelt.
Außerdem können sich Apotheken gegenseitig bedarfsgerecht mit Betäubungsmitteln (Anlage III zu § 1 Abs. 1 BtMG) aushelfen, um den nicht aufschiebbaren Betäubungsmittelbedarf für die medizinische Versorgung von Patienten sicherzustellen. Das gilt sowohl für öffentliche als auch für Krankenhausapotheken.
** „SZ“-Rezepte sind BtM-Rezepte, auf denen der Arzt einem Patienten, der normalerweise Substitutionsmittel im Sichtbezug erhält, eine bestimmte Menge an Substitutionsmitteln zur eigenverantwortlichen Einnahme verordnet (z. B. Wochenende).
Weitere Ausnahmeregelungen
- Entlassmanagement: Klinikärzte dürfen auf Entlassrezepten eine Arzneimittelpackung bis zur N3-Größe verordnen, Hilfsmittel und sonstige Produkte für einen 14-Tage-Bedarf.
- Behördliche Ausnahmen: Die zuständigen Behörden sollen die Befugnis erhalten, ein regionales Abweichen von den Vorschriften des Apothekengesetzes und der Apothekenbetriebsordnung zu gestatten, wenn dies für die ordnungsgemäße Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln, Medizinprodukten und anderen apothekenüblichen Waren notwendig ist. Die Ausnahmen können sich z. B. auf die Zusammenarbeit zwischen Apotheken und Ärzten, auf die Apothekenleitung und den Personaleinsatz, den Botendienst sowie Vorgaben zur Rezepturherstellung beziehen.
- Botendienst: Apotheken sollen bei der Abgabe von Arzneimitteln im Wege des Botendienstes je Lieferort und Tag einen Zuschlag von 5,00 Euro zzgl. MwSt. erhalten. Außerdem können Apotheken einmalig einen Betrag zur Förderung von Botendiensten in Höhe von 250 Euro zzgl. MwSt. zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen geltend machen. Das Nähere dazu vereinbaren die Spitzenorganisation der Apotheker und der Spitzenverband Bund der Krankenkassen.
- Verkaufs- und Verpflichtungsverbot: Für versorgungsrelevante Produkte des medizinischen Bedarfs kann das Bundesministerium für Gesundheit eine Auskunft über die Bestände, den Lagerort, die Produktion, den Vertrieb und die Preise verlangen. Versorgungsrelevante Produkte des medizinischen Bedarfs sind Arzneimittel, deren Wirk-, Ausgangs- und Hilfsstoffe, Medizinprodukte, Labordiagnostika, Hilfsmittel, Gegenstände der persönlichen Schutzausrüstung und Produkte zur Desinfektion und deren Einzelkomponenten, für die das BMG festgestellt hat, dass sie für die bedarfsgerechte Versorgung der Bevölkerung in der epidemischen Lage von nationaler Tragweite von wesentlicher Bedeutung sind. Die Feststellung ist im Bundesanzeiger zu veröffentlichen.
Die Verordnung tritt außer Kraft, wenn die Feststellung einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite aufgehoben ist. Die Regelung zum vergüteten Botendienst tritt allerdings spätestens am 30. September 2020 außer Kraft.
Hinweis: Dieser Artikel wurde nachträglich korrigiert. Der Begriff „aut-idem-fähig” wurde durch den in der Verordnung verwendeten Begriff „wirkstoffgleich” ersetzt. Zudem werden die Abweichungsmöglichkeiten bei der Abgabe eines wirkstoffgleichen Arzneimittels ohne Rücksprache mit dem Arzt (Packungsgröße, -anzahl, Teilmengen-Abgabe, Wirkstärke) nun in einem separaten Absatz aufgeführt.